Werke
geschah?«
»Bastard schimpfte ihn der Ruchlose mitten unter allem Volk.« Diese Worte schob Mathilde ganz leise dazwischen.
»Aber,« sprach Herr Harsdorfer weiter, indem er tat, als habe er Mathildens Worte gar nicht vernommen, »aber an dir selbst hat nun sein bedrohliches Wesen sich offenbart. Du siehst die Gefahr ein, der du leichtsinnig dich hinopfern willst. In den Fabeln wird erzählt, daß Untiere in glänzendem Gefieder mit reizender Sirenenstimme den Menschen so verlocken, daß er [ihnen] als ihr Eigen an die Brust fällt, um ihn dann desto gewisser ohne Widerstand zu verschlingen; so ist’s mit Raphael.
Doch, mein liebes Kind, der erste große Schritt ist geschehn; unverzeihlich hat sich Raphael gegen dich benommen, und hierin findest du den ersten und fürnehmsten Grund, deine Leidenschaft zu bekämpfen. Du bist ein tugendhaftes, frommzüchtiges Kind, und so wird dir der Sieg leicht werden. Ja, mein liebes teures Kind, du hast recht, nicht verzeihen magst, kannst du dem wilden Jüngling, was er tat.«
»O Gott!« rief Mathilde, »ich habe ihm ja längst verziehen.«
Herr Harsdorfer erschrak über diesen ihm allein unerwarteten Ausbruch Mathildens dermaßen, daß er das Glas Wein, welches schon seine Lippen berührten, wieder absetzte. Frau Emerentia schaute ihn aber an mit einem Blick, welcher deutlich sprach: »Hättest du wohl etwas anders ahnen können?«
Ohne der Eltern Rede weiter abzuwarten, begann Mathilde mit steigender Leidenschaft: »O Gott, liebe Eltern, was mein Raphael getan, die Engel im Himmel werden ihn rein erscheinen lassen; denn nur durch schwarzen Flor blickt wie ein prachtvoller Stern sein edles, herrliches Gemüt.
Als der übermütige Holzschuer ihn bis auf den Tod beleidigte – ihr müßt wissen, meine teure Eltern, daß der Mensch, der meinen Raphael um alles beneidet, ihm den Vorwurf macht, nicht auf rechtmäßige Weise geboren zu sein, weil seine Eltern nur durch die katholische Kirche vereinigt sind. Freilich, als er ihn nun überwältigt, als er das Mordmesser zog – o! das böse, böse Messer – wie oft habe ich – –« Mathilde stockte und drückte mit beiden Händen das Taschentuch vors Gesicht, indem sie vor zurückgehaltenen Tränen ersticken zu wollen schien.
Herr Harsdorfer sowohl als Frau Emerentia ließen das Kind gewähren, indem sie einen Ausbruch der bittersten Reue und Zerknirschung erwarteten. Herr Harsdorfer glaubte diesem Ausbruch der Reue einen leichten Durchgang verschaffen zu müssen vermöge ruhiger, bedächtiger Worte.
»Im,« sprach er, »im steten Andenken an Raphaels durchaus ärgerliches Beginnen auf der Hallerwiese wird er, indem du ihn nicht wieder siehst, dir immer gleichgültiger werden und zuletzt deine Liebe zu ihm erlöschen.«
»O Gott!« schrie Mathilde mehr, als sie sprach, »was sagt Ihr, Vater, was sagt Ihr, ich ihn nicht mehr lieben, ihn, in dem meine Seele lebt, der mein Alles, mein ganzes Dasein ist. Jeder Tropfen meines Herzbluts quillt in seiner Brust – er ist der belebende Funke meines ganzen Wesens – ohne ihn alles tot und starr – mit ihm alle Himmelsseligkeit und Wonne. Und so lebe ich auch in meines Raphaels Brust. Ha! so geliebt zu sein! – so geliebt zu sein! –
Als er mich auf der Hallerwiese erblickte – da loderten hell die Liebesfunken, und von seinen Lippen strömte in himmlischer Begeisterung ein Lied. – Ha, welch ein Lied! Die ältesten Meister nickten ihm Beifall zu – allen schwoll die Brust beim Gesange meines Raphaels – und als er nun den Preis des Sängers zu erwerben rang – o Gott! das Lied strömte wie Feuer durch meine Adern – den Jünglingen pochte das Herz – und die Jungfrauen – vergebens suchten sie es zu bergen, wie sie mich um meine Liebe neideten – während der Mund sich zum spöttischen Lächeln verzog, standen Tränen der Sehnsucht ihnen in den Augen – während sie den Jüngling verdammten, fühlte jede selbst den Himmel an meiner Stelle! Ihn lassen, ihn nicht mehr lieben, meinen Raphael, nein, nimmermehr – bis zum letzten Lebenshauch ist er mein! bleibt er mein! – mein! – mein! – mein!«
»So gewahr’ ich denn,« sprach der alte Harsdorfer, indem er sich zornig von seinem Sitze erhob, »so gewahr’ ich denn, daß der Geist des Bösen, der sein Wesen treibt in des wilden Jünglings verderblichem Beginnen, schon Macht gewonnen über dich. Ha, entartetes Kind, hat jemals das Blut in verderblicher Wollust gegärt in den Adern deiner Mutter, die in den
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