Werke
Jahren, wenn das Liebesfeuer am höchsten wallt, die Zucht und spröde Jungfräulichkeit selbst war? Sind jemals Worte über ihre Lippen gekommen, wie sie von den deinigen strömen? Doch gehe hin, Verworfene, du hast keinen Vater mehr, geh hin, flieh mit ihm, denn gewiß brütet ein solcher Anschlag der Hölle schon längst in dem Gehirn des Bösewichts, der dir nachstellt; ende im Elend und tiefer Schmach.«
»Nein,« rief Frau Emerentia, die in Tränen ganz gebadet war, »nein, Vater, das kann, das wird unser frommes Kind nicht; nur Verblendung ist es. Doch nein, sie liebt wohl Raphael wirklich, aber kann sie darum Vater und Mutter lassen?«
»Nimmermehr, lieber sterben,« schluchzte Mathilde.
Herr Harsdorfer sah in diesem Augenblick ein, daß er gegen Mathilde zu hart gewesen, und der rührende Anblick der beiden, ganz schmerzaufgelösten Weiber gab diesem Gedanken noch das gehörige Gewicht. Er hob Mathilden, die vor ihm niedergestürzt war, sanft in die Höhe, strich ihr die niedergefallenen Locken von der Lilienstirn und sprach sanft, beinahe wehmütig: »Fasse dich, mein liebes Kind, vielleicht ist es nur ein feindseliger Augenblick, der dich dich selbst verleugnen ließ.«
Mathilde, plötzlich ganz gefaßt, keine Tränen in den trocknen Augen, starrte den Herrn Harsdorfer an mit seltsamem Blick und fragte mit dumpfem Ton: »Habt Ihr mir, Vater, vielleicht eine böse Untat verschwiegen, die Raphael beging, so entdeckt sie mir jetzt; denn bei Gott, Vater, nichts habt Ihr vorbringen können, was meinen Raphael als einen verbrecherischen Menschen darstellen sollte, der meiner Liebe unwürdig.« – Herr Harsdorfer schien etwas betreten. »Geh,« sprach er endlich, »geh, mein liebes Kind, schiebe dir das kleine Taburett heran und nimm Platz zwischen deinen Eltern.«
Der geneigte Leser, der Sinn hat für die edle Malerkunst, dem sich aus einer Erzählung mannigfache Gruppen bilden, findet hier Gelegenheit, sich ein kleines, gar anmutiges Kabinettsstück vor Augen zu bringen. Denn anmutig darf es genannt werden, wie die bildhübsche schlankgewachsene Mathilde in der zierlichsten Morgenkleidung Platz genommen zwischen den beiden Alten, auf ihre Rede horchend. Auch darf nicht die gute Staffage der Polsterstühle, des Taburetts und des Tisches mit dem appetitlichen Morgenimbiß vergessen werden. –
»Um dir,« begann nun der alte Harsdorfer, »um dir, mein liebes gutes Kind, klar vor Augen zu stellen, wie mein Vorurteil gegen Raphael auf eine Schlußfolge begründet ist, deren Untrüglichkeit die Welterfahrung längst bewährt hat, muß ich dir von Raphaels unglücklichem Vater, dem verworfenen Dietrich Irmshöfer, mehr erzählen.
So wie Dürers Vater war Irmshöfers Vater ebenfalls ein Goldschmied und beide Alten, wie man zu sagen pflegt, gute Kumpane. Beide Knaben sollten die Kunst der Väter erlernen. Bald aber erwachte in beiden ein entschiedener Hang zur Malerkunst, und es zeigte sich schon zu der Zeit Irmshöfers heftiger wilder Sinn, daß er nicht, wie Albrecht Dürer, in Nebenstunden seiner Neigung mit Liebe und Fleiß nachhing, sondern an einem guten Tage alles Handwerkszeug beiseite warf, zu seinem alten Vater lief und erklärte, er wolle sogleich in alle Welt gehen, wenn er ihn nicht augenblicklich zu einem Maler in die Lehre täte. Beide Knaben sollten sich nun nach Kolmar zum wackern Martin Schön begeben. Der war aber indessen gestorben, und beide Knaben kamen zum alten Wohlgemuth.
Hier war es nun, wo in beiden sich bald ein reicher Schacht der vorzüglichsten Gaben auftat. Die Arbeiten der Jünglinge erregten das Erstaunen des Meisters. Die gänzliche Verschiedenheit ihres ganzen Wesens trat aber auch schon jetzt entschiedener vor, und mit nicht geringem Kummer gewahrte der alte fromme Wohlgemuth, daß zwar Albrecht den Geist der Kunst mit jener frommen Liebe erfaßte, die in dem Innern der alten deutschen Meister lebt; Dietrich dagegen, von einem seltsamen Geist getrieben, nichts in der Malerei wollte als höchste, treueste Nachahmung der sinnlichen Erscheinung; so gaben doch insgemein die gewählten Gegenstände einen nicht geringen Anstoß, da sie der heidnischen Fabelwelt entnommen und den Makel weltlicher Lust, die nichts Höheres will als die Lust, an sich trugen.
Zu dem schalten die Meister noch die Unrichtigkeit der Zeichnung. Albrecht Dürers frommer Sinn beschäftigte sich mit Gegenständen der Religion, und sein hoher, alles überwiegender Geist – ein Talent, das zu der Zeit kaum
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