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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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sitzt, zu entscheiden, ob’s recht war oder nicht, daß Raphael den übermütigen Melchior Holzschuer niederwarf, als er ihn Bastard schimpfte.«
    »Wer mir,« sprach ein junger rüstiger Steinmetz mit funkelnden Augen, »wer mir an die Ehre kommt, kommt mir an das Leben, denn ohne Ehre kein Leben, und Leben gegen Leben.«
    »Recht, recht, Friedrich hat recht,« so stürmten die Jünglinge tumultuarisch hinterher und schrien, indem sie die Gläser klingen ließen: »Hoch lebe Vater Dürers herrlicher Pflegesohn Raphael, denn sein ist er ganz und gar.«
    »Verachtet die Stimme der Ältern nicht,« so sprach ein alter Handwerksmann, dessen Gewerbe die blaugefärbten Hände verkündigten, »es wäre in diesem Falle gut, wenn ein weiser, vernünftiger, beratener Mann den Fall zum Nutzen und Frommen der Jugend entschiede.«
    Die Jünglinge lachten helle auf, ergriffen den Herrn Thomas, der eben mit zwei schweren Weinhumpen durchschlüpfen wollte, alles Widerspruchs unerachtet, bei den Beinen und hoben ihn auf den Tisch, mit dem Ansinnen, sogleich, da ihm die Gaben dazu inwohnten, den Richterspruch zu tun. Herr Thomas gab der strengen Notwendigkeit nach und bemühte sich, wenigstens das mit Zierlichkeit und Anstand zu tun, was ihm die Gewalt abzwang. Er besah einige Augenblicke stillschweigend den Schlüsselbund, ließ dann einen Schlüssel nach dem andern fallen, richtete sich dann aus der gebückten Stellung in die Höhe, kratzte nach allen Seiten aus, vergessend, daß er auf dem Tische stand, und richtete eben dadurch eine Verwüstung an, der in dem Augenblick schwer zu steuern. Endlich räusperte er sich, fuhr einigemal mit der Kellermütze über die Stirne und begann feierlich:
    »Meine teuren Gäste! Es ist hier von einem Totschlage oder vielmehr davon die Rede, ob’s recht ist, jemand totzuschlagen. Man findet darüber in den mosaischen Gesetzen, gedenkt man noch nicht der Chaldäer, Syrer, Indier, Mesopotamier, Ägyptier, Perser –«
    »Halt, halt,« schrie der Steinmetz, »plagt Euch der Teufel, Herr Wirt, wir wollen nicht wissen, ob die Potomier, Kalkdreher, Gipszieher oder wie das Volk alles heißen mag, was Ihr da herausgewirbelt habt, dem Raphael recht gegeben haben würde oder nicht. Ihr sollt auf der Stelle Bescheid geben.«
    »So laßt,« sprach der Wirt, »so laßt mich wenigstens sogleich von Moses zu unserm Kaiser Karl dem Vierten und seiner Aurea bulla von 1347 vorwärts gehen; in dieser heißt es, ›betreffend Meuterei und Totschlag‹, ausdrücklich: ›So jemand‹ –« In diesem Augenblicke schaute der Wirt um sich und gewahrte auf den Gesichtern der Jünglinge düstere Wolken, die jeder nachteiligen Entscheidung ein nachfolgendes verderbliches Gewitter drohten.
    Der schlaue Thomas faßte sich daher kurz und sprach: »In der Tat, sehr werte Meister, herrliche Gäste, wackere Genossen schöner Tage, ich weiß nicht, wie es wörtlich in der Aurea bulla heißt, aber ihrem Sinn und Inhalt gemäß gebe ich meine Entscheidung dahin, daß Raphael das Recht hatte, den Melchior auf den Tod anzugreifen, weil dieser zuvor Gleiches getan.«
    So sehr die Jünglinge dem Herrn Thomas Beifall zujauchzten, so sehr erhoben sich dagegen auch die murrenden Stimmen der Alten, welche mit Recht von Meuchelmord, bewaffneter Faust und dergleichen sprachen. Herr Thomas, um auch diesen Sturm zu beschwichtigen, rief sehr laut: »Und sollte auch ein hitziger Streich geschehen sein, alle Gesetze, Verordnungen und Privilegien lassen einen großen Entschuldigungsgrund zu, nämlich die Liebe; und hat der feurige Jüngling Raphael an einem Orte, wo es freilich nicht hingehörte, hat er seine höchste Kunst, was Gesang und Spiel betrifft, den ganzen Schatz seines Talents euch eröffnet, so dankt ihm das, so dankt ihm die Erhebung eures Gemüts, die ihr in dieser Stunde genossen habt.« Dem Wirt wurde aufs neue stürmischer Beifall zugejauchzt. Er nahm indessen die Gelegenheit wahr, mit einem geschickten Katzensprunge auf den breiten Rücken seines Oberküpers zu setzen, der mit ihm sogleich abfuhr.
    Ein neuer, ganz unerwarteter Auftritt fesselte jetzt plötzlich die Aufmerksamkeit der Gäste. Die Türe sprang nämlich auf, und hinein schritt sehr feierlich ein kleines, kaum fünf Fuß hohes Männlein; einen großen, breiten Hut mit einer viel zu hohen Feder auf dem Kopfe, das Genick zurückgebeugt tief in den Nacken, kniff der Kleine die Augen dicht zu wie ein Gänserich, der in den Blitz zu schauen unternimmt. Der schwarze

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