Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
vermißt und nach ihr gefragt hatte. Katja wurde bleich wie der Tod.
„Nun genug, Kinder! Wir wollen hier alle Tage zusammenkommen. Adieu, Gott segne euch!“ sagte der Fürst.
Er war gerührt von unserm Anblick; aber was er für die Zukunft in Aussicht genommen hatte, ging nicht in Erfüllung. Am Abend traf aus Moskau die Nachricht ein, daß der kleine Alexander plötzlich erkrankt sei und in den letzten Zügen liege. Die Fürstin beschloß, gleich am nächsten Tage hinzureisen. Dies alles geschah so schnell, daß ich bis unmittelbar vor dem Abschiede von der Prinzessin nichts davon erfuhr. Daß wir uns vor der Abreise noch einmal sehen sollten, darauf hatte der Fürst selbst bestanden, und die Fürstin hatte widerstrebend eingewilligt. Die Prinzessin war ganz niedergeschmettert. Ich lief, ohne von mir selbst zu wissen, nach unten und fiel ihr um den Hals. Der Reisewagen wartete schon vor der Haustür. Katja schrie auf, als sie mich erblickte, und fiel besinnungslos um. Ich stürzte zu ihr hin, um sie zu küssen. Die Fürstin bemühte sich, sie wieder zum Bewußtsein zu bringen. Endlich kam sie wieder zu sich und umarmte mich.
„Lebe wohl, Netotschka!“ sagte sie plötzlich mit einem unerklärlichen Lächeln. „Mach dir um mich keine Sorge; das hat nichts zu sagen; ich bin nicht krank; in einem Monat komme ich wieder. Dann werden wir uns nicht mehr voneinander trennen.“
„Nun genug!“ sagte die Fürstin in ruhigem Tone. „Wir wollen fahren!“
Aber die Prinzessin wandte sich noch einmal um. Sie preßte mich krampfhaft in ihre Arme.
„Du mein Leben!“ flüsterte sie noch. „Auf Wiedersehen!“
Wir küßten uns zum letztenmal, und die Prinzessin verschwand ... auf lange, sehr lange Zeit. Es vergingen acht Jahre, bis wir uns wiedersahen!
- - - Ich habe diese Periode meiner Kindheit, dieses erste Erscheinen Katjas in meinem Lebensgange, absichtlich so ausführlich erzählt. Aber unsere Lebensgeschichten sind untrennbar miteinander verbunden. Katjas Roman ist mein Roman. Es schien vom Schicksal bestimmt zu sein, daß ich ihr begegnen und daß auch sie mich finden sollte. Und ich habe mir auch das Vergnügen nicht versagen können, mich noch einmal in der Erinnerung in meine Kindheit zurückzuversetzen ... Jetzt wird meine Erzählung in schnellerem Tempo fortschreiten. Mein Leben versank sozusagen in einen stillen Schlaf, aus dem ich erst wieder erwachte, als ich bereits sechzehn Jahre alt war.
Aber ich will noch ein paar Worte darüber sagen, wie es mir erging, nachdem die fürstliche Familie nach Moskau abgereist war.
Ich war mit Madame Léotard allein zurückgeblieben.
Nach vierzehn Tagen brachte ein expresser Bote die Mitteilung, die Rückreise nach Petersburg sei auf unbestimmte Zeit verschoben. Da nun Madame Léotard mit Rücksicht auf ihre eigenen Familienangelegenheiten nicht nach Moskau ziehen konnte, so nahm ihr dienstliches Verhältnis im Hause des Fürsten ein Ende; indes blieb sie in derselben Familie, indem sie zu der ältesten Tochter der Fürstin, zu Alexandra Michailowna, übersiedelte.
Ich habe noch nichts von Alexandra Michailowna gesagt, und ich hatte sie auch bis dahin nur ein einziges Mal gesehen. Sie war die Tochter der Fürstin aus erster Ehe. Die Herkunft und Verwandtschaft der Fürstin waren nicht sehr vornehm, und so war denn auch ihr erster Mann ein Branntweinpächter gewesen. Als die Fürstin sich zum zweiten Male verheiratet hatte, wußte sie schlechterdings nicht, was sie mit ihrer ältesten Tochter anfangen sollte. Auf eine glänzende Partie für diese konnte sie nicht hoffen, da dieselbe nur eine mäßige Mitgift erhielt; endlich gelang es nach vier Jahren, sie an einen reichen höheren Beamten zu verheiraten. Alexandra Michailowna trat in einen anderen Gesellschaftskreis ein und sah eine ganz andere Welt um sich. Die Fürstin machte ihr zweimal im Jahr einen Besuch, der Fürst, ihr Stiefvater, dagegen allwöchentlich, und zwar mit Katja zusammen. Aber in der letzten Zeit sah es die Fürstin nicht gern, daß Katja zu ihrer Schwester ging, und so nahm sie denn der Fürst nur heimlich mit. Katja schwärmte für ihre Schwester; aber die beiderseitigen Charaktere bildeten einen starken Gegensatz. Alexandra Michailowna war eine Frau von zweiundzwanzig Jahren, still, zart und liebevoll; aber ein heimlicher Gram, ein verborgener Seelenschmerz schien einen düsteren Schatten über ihre schönen Züge zu verbreiten. Der Ernst und das düstere Wesen paßten eigentlich nicht
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