Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
doch den Saal räumen zu lassen, wie er kurz zuvor angedroht hatte, das wagte er nicht. Zu denen, die dem Redner applaudierten und Taschentücher schwenkten, gehörten nämlich auch vornehme Persönlichkeiten, die hinten auf gesonderten Stühlen saßen, alte Herren mit Ordenssternen auf dem Frack. Also begnügte sich der Präsident, als sich der Lärm gelegt hatte, mit einer abermaligen strengen Drohung, den Saal räumen zu lassen. Und Fetjukowitsch, triumphierend und erregt, setzte seine Rede fort.
»Meine Herren Geschworenen, Sie erinnern sich an jene furchtbare Nacht, von der heute so viel gesprochen worden ist: als der Sohn den Zaun überstiegen hatte, in das Haus seines Vaters eingedrungen war und nun endlich Auge in Auge dem gegenüberstand, der sein Feind war und ihm Unrecht zugefügt hatte, ihm, seinem Erzeuger. Mit allem Nachdruck bleibe ich bei der Behauptung, daß er nicht des Geldes wegen gekommen war; die Anschuldigung wegen Raubes ist eine Torheit, wie ich schon vorhin dargelegt habe. Auch nicht um zu morden, war er bei ihm eingedrungen, o nein! Hätte er das vorsätzlich geplant gehabt, so hätte er sich zumindest vorher eine Waffe besorgt; den Messingstößel hatte er sich nur instinktiv gegriffen, ohne selber zu wissen wozu. Mag er den Vater durch das Signal getäuscht haben, mag er bei ihm eingedrungen sein – ich sagte schon, daß ich keine Sekunde an diese Fabel glaube –, aber mag es meinetwegen so gewesen sein, nehmen wir das für einen Augenblick als wahr an! Meine Herren Geschworenen, ich schwöre Ihnen bei allem, was heilig ist: Wäre das nicht sein Vater gewesen, sondern ein fremder Beleidiger, so wäre er, nachdem er durch die Zimmer gelaufen war und festgestellt hatte, daß diese Frau nicht da war, Hals über Kopf wieder weggelaufen, ohne seinem Nebenbuhler Schaden zugefügt zu haben; er hätte ihm vielleicht einen Schlag oder einen Stoß versetzt, weiter aber auch nichts, denn darauf war sein Sinn nicht gerichtet, dazu hatte er keine Zeit: Er mußte in Erfahrung bringen, wo sie war. Doch der Vater – oh, alles bewirkte nur der Anblick des Vaters, der ihn von seiner Kindheit an gehaßt, sich als sein Feind erwiesen, ihn benachteiligt hatte und jetzt sein gräßlicher Nebenbuhler war! Ein Gefühl des Hasses ergriff ihn unwillkürlich und unwiderstehlich, zum Überlegen war keine Zeit: alles wurde augenblicklich in ihm lebendig! Das war ein Affekt von Irrsinn und Geistesstörung, aber auch ein Affekt der Natur, welche die Verletzung ihrer ewigen Rechte stets unaufhaltbar und unbewußt zu rächen pflegt. Doch der Mörder hat auch da nicht gemordet – das behaupte ich mit lauter Stimme! Nein, er hat nur voller Ekel und Empörung eine ausholende Bewegung mit dem Stößel gemacht, ohne die Absicht, einen Mord zu begehen, und ohne zu wissen, daß er einen Mord beging. Hätte er diesen verhängnisvollen Stößel nicht in der Hand gehabt, so hätte er den Vater zwar vielleicht geprügelt, aber nicht erschlagen. Als er weglief, wußte er nicht, ob der alte Mann, den er zu Boden geschlagen hatte, tot war. Ein solcher Mord ist auch kein Vatermord. Nein, die Ermordung eines solchen Vaters kann man nicht Vatermord nennen. Ein solcher Mord kann nur auf Grund einer veralteten Ansicht als Vatermord gelten. Aber hat denn mein Klient diesen Mord überhaupt begangen? Das frage ich Sie immer wieder aus tiefster Seele. Meine Herren Geschworenen, wenn wir ihn jetzt verurteilen, so wird er sagen: ›Diese Menschen haben für mein Schicksal, für meine Erziehung, für meine Bildung nichts getan. Nichts, um mich zu bessern, um mich zu einem Menschen zu machen. Diese Menschen haben mich nicht gespeist und mich nicht getränkt und mich, den Nackten, im Gefängnis nicht, besucht. Statt dessen haben sie mich zur Zwangsarbeit geschickt. Ich bin mit ihnen quitt, bin ihnen nichts mehr schuldig, bin überhaupt bis in alle Ewigkeit niemand mehr etwas schuldig. Sie sind böse, und ich werde auch böse sein! Sie sind grausam, und ich werde auch grausam sein!‹ Das ist es, was er sagen wird, meine Herren Geschworenen! Und ich schwöre Ihnen, durch Ihren Schuldspruch werden Sie ihm seine Last nur erleichtern! Sie werden ihm sein Gewissen erleichtern; er wird das von ihm vergossene Blut verfluchen, aber er wird nicht bedauern, es vergossen zu haben! Und gleichzeitig werden Sie in ihm den noch potentiell vorhandenen Menschen vernichten, denn er wird böse und blind bleiben sein Leben lang. Wollen Sie ihn jedoch schwer und
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