Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
geredet hat. Ist das etwa keine Dichtung? Wo ist ein Beweis dafür, daß er das Geld herausgenommen hat? Und wer hat gehört, was er dabei sagte? Der schwachsinnige Idiot Smerdjakow verwandelt sich in einen Byronschen Helden, der sich wegen seiner illegitimen Geburt an der Gesellschaft rächt – ist das etwa keine Dichtung im Stile eines Byron? Und dann der Sohn, der zu seinem Vater eingedrungen ist und ihn ermordet hat, gleichzeitig aber auch nicht ermordet hat – das ist nun schon kein Roman und keine Dichtung mehr, das ist eine Sphinx, die Rätsel aufgibt, Rätsel freilich, die sie selbst natürlich auch nicht löst. Wenn er gemordet hat, so hat er gemordet. Doch was heißt das: Wenn er auch gemordet hat, so hat er auch wieder nicht gemordet? Wer soll das verstehen? Ferner wird uns verkündet, unsere Tribüne sei eine Tribüne der Wahrheit und der gesunden Vernunft, und plötzlich ertönt von dieser ›Tribüne der gesunden Vernunft‹, von einem Schwur begleitet, der Grundsatz, es sei eine veraltete Anschauung, die Ermordung eines Vaters Vatermord zu nennen! Wenn der Vatermord eine veraltete Anschauung ist und wenn jedes Kind seinen Vater fragen soll: ›Vater, warum bin ich verpflichtet, dich zu lieben?‹, was soll dann aus uns werden, was aus den Grundlagen der Gesellschaft, aus der Familie? Vatermord, sehen Sie, das ist also nur so etwas wie der ›Schwefel‹ jener Ostrowskischen Kaufmannsfrau. Die teuersten, heiligsten Satzungen für die Bestimmung und die zukünftige Entwicklung der russischen Justiz werden in leichtfertig entstellter Art vorgeführt, nur um das Ziel zu erreichen, nämlich eine Rechtfertigung dessen, was sich nicht rechtfertigen läßt. ›Oh, erdrücken Sie ihn mit Ihrem Mitleid!‹ ruft der Verteidiger aus. Weiter will ja der Verbrecher auch gar nichts! Gleich morgen würde man sehen können, wie erdrückt er ist! Ist der Verteidiger auch nicht zu bescheiden, wenn er nur den Freispruch des Angeklagten verlangt? Warum verlangt er nicht die Stiftung eines Stipendiums auf den Namen des Vatermörders, damit seine Tat für die Nachwelt und die junge Generation verewigt wird? Das Evangelium und die Religion werden korrigiert; das ist alles Mystik, heißt es. Nur bei uns, da ist das echte Christentum, das bereits von der gesunden Vernunft und Denkkraft kritisch überprüft wurde. Und dann führt man uns ein Trugbild Christi vor Augen! ›Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen weiden‹, ruft der Verteidiger und behauptet im selben Augenblick, Christus habe befohlen, wir sollten mit dem Maß messen, mit welchem uns gemessen wird – und das behauptet er von der Tribüne der Wahrheit und der gesunden Vernunft! Wir werfen rasch einen Tag vor unseren Reden einen Blick in das Evangelium, um durch unsere Kenntnis dieses immerhin recht originellen Schriftwerkes zu glänzen, das je nach Bedarf zur Erzielung eines bestimmten Effektes taugen und dienen kann, immer je nach Bedarf! Doch Christus befiehlt ja gerade, wir sollen es nicht so machen, wir sollen uns hüten, es so zu machen, weil die böse Welt es so macht! Wir dagegen sollen verzeihen und unsere Backe darbieten, aber nicht mit demselben Maß messen, mit dem uns unsere Beleidiger messen. Das ist es, was uns unser Gott gelehrt hat, und nicht, daß es veraltet ist, wenn man den Kindern verbietet, ihre Väter zu ermorden. Wir werden es jedenfalls nicht unternehmen, von der Tribüne der Wahrheit und der gesunden Vernunft herab das Evangelium unseres Gottes zu korrigieren, den der Verteidiger nur der Bezeichnung ›gekreuzigter Menschenfreund‹ würdigt – im Gegensatz zum ganzen rechtgläubigen Rußland, das Ihm zuruft: ›Denn du bist unser Gott!‹«
Da griff der Präsident ein und unterbrach den allzu hitzig gewordenen Redner, indem er ihn ersuchte, nicht zu übertreiben, innerhalb der gebührenden Grenzen zu bleiben, und so weiter und so fort, wie Präsidenten in solchen Fällen gewöhnlich sprechen. Auch der Saal war unruhig geworden; das Publikum war in Bewegung geraten und ließ sogar Ausrufe des Unwillens vernehmen. Fetjukowitsch ließ sich auf eine eigentliche Erwiderung gar nicht ein; er bestieg nur die Tribüne, um, die Hand auf dem Herzen, mit gekränkter Stimme einige würdevolle Worte zu sagen. Nur nebenbei und in spöttischem Ton berührte er noch einmal die »Dichtungen« und die »Psychologie« und schob an einer Stelle geschickt die Wendung ein: »Jupiter, du bist zornig, also hast du unrecht!« Dadurch rief er
Weitere Kostenlose Bücher