Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
hart bestrafen, mit der schrecklichsten Strafe, die man sich denken kann, aber so, daß Sie seine Seele retten und für alle Zeit erneuern? Wenn Sie das wollen, dann erdrücken Sie ihn durch Ihr Mitleid! Sie werden sehen, Sie werden hören, wie seine Seele zusammenfahren und erschrecken wird. ›Daß mir diese Gnade erwiesen wird, daß mir so viel Liebe zuteil wird! Bin ich denn dessen würdig?‹ wird er ausrufen. Oh, ich kenne dieses Herz, dieses wilde, aber edle Herz, meine Herren Geschworenen! Es wird sich dankbar vor Ihrer schönen Tat neigen, es wird nach einer großen Tat der Liebe dürsten, es wird entbrennen und wiederauferstehen für immer. Es gibt Seelen, die in ihrer Beschränktheit die ganze Welt beschuldigen. Aber erdrücken Sie diese Seele durch Ihr Mitleid, erweisen Sie ihr Liebe, und sie wird ihre Tat verfluchen, denn es sind viele gute Keime in ihr. Die Seele wird sich weiten und erkennen, wie barmherzig Gott ist und wie gut und gerecht die Menschen sind. Die Reue und die unermeßliche Dankesschuld, die von nun an auf ihm lastet, wird ihn erschrecken und niederdrücken. Und er wird dann nicht sagen können: ›Ich bin quitt mit ihnen‹, sondern: ›Ich bin vor allen Menschen schuldig und aller Menschen unwürdig!‹ Unter Tränen der Reue und brennender qualvoller Rührung wird er ausrufen: ›Die Menschen sind besser als ich! Sie wollen mich nicht zugrunde richten, sondern retten!‹ Oh, es ist für Sie so leicht, diese Handlung der Barmherzigkeit auszuüben, denn angesichts des Fehlens aller auch nur einigermaßen triftigen Beweise wird es Ihnen sehr schwerfallen zu verkünden: ›Jawohl – schuldig!‹ Es ist besser, zehn Schuldige ungestraft zu lassen, als einen Unschuldigen zu bestrafen – hören Sie nicht diese erhabene Stimme aus dem vorigen Jahrhundert unserer ruhmvollen Geschichte? Mir unbedeutendem Menschen steht es nicht zu, Sie daran zu erinnern, daß sich die russische Justiz nicht darauf beschränkt zu strafen, sondern auch den verlorenen Menschen zu retten sucht! Mögen bei anderen Völkern Paragraphen und Strafen herrschen – bei uns herrsche Geist und Sinn, und das Ziel sei die Rettung und Wiedergeburt der Verlorenen! Und wenn dem so ist, wenn Rußland und seine Justiz wirklich so beschaffen sind, dann steht Rußland an der Spitze, und keiner schrecke uns mit jener rasenden Troika, vor der alle Völker voll Abscheu zur Seite treten! Nicht wie eine rasende Troika, sondern wie ein majestätischer Triumphwagen wird Rußland feierlich und ruhig ans Ziel gelangen! In Ihren Händen liegt das Schicksal meines Klienten – in Ihren Händen liegt aber auch das Schicksal unserer russischen Gerechtigkeit. Sie werden sie retten. Sie werden sie verteidigen, Sie werden beweisen, daß es Männer gibt, sie zu behüten, und daß sie in guten Händen liegt!«
14. Die Bauern haben ihren Kopf für sich
So schloß Fetjukowitsch, und die Begeisterung der Zuhörer war diesmal unaufhaltsam wie ein Sturm. Die Frauen weinten, es weinten auch viele Männer, selbst zwei der vornehmen Würdenträger vergossen Tränen. Der Präsident fügte sich und zögerte sogar, seine Glocke zu schwingen. »Gegen einen solchen Enthusiasmus einzuschreiten, das wäre gleichbedeutend gewesen mit Frevel gegen ein Heiligtum!« So drückten sich später unsere Damen aus. Auch der Redner selbst war aufrichtig gerührt. Und in diesem Augenblick erhob sich noch einmal unser Ippolit Kirillowitsch, um »Entgegnungen zu machen«. Haßerfüllte Blicke richteten sich auf ihn. »Wie? Was soll das heißen? Er wagt es, danach noch etwas zu entgegnen?« flüsterten die Damen. Doch sogar wenn die Damen der ganzen Welt geflüstert hätten und an ihrer Spitze Ippolit Kirillowitschs Gattin, die Frau Staatsanwalt persönlich, auch dann wäre es nicht möglich gewesen, ihn in diesem Moment zurückzuhalten. Er war blaß und zitterte vor Erregung; die ersten Worte, die ersten Sätze, die er sprach, waren geradezu unverständlich. Er atmete nur mühsam, versprach und verwirrte sich. Allerdings hatte er sich bald wieder in der Gewalt. Aus dieser zweiten Rede des Staatsanwalts werde ich nur einige Sätze anführen.
»Uns wird der Vorwurf gemacht, wir hätten Romane erdichtet. Aber was der Verteidiger vorgebracht hat, ist das nicht die reinste Dichtung? Es fehlten nur noch die Verse. Fjodor Pawlowitsch, der auf seine Geliebte wartet, zerreißt das Kuvert und wirft es auf den Fußboden. Es wird sogar angeführt, was er bei diesem seltsamen Tun
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