Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Schande, nicht in so entsetzlicher Weise!« entgegnete Aljoscha.
»Gewiß ... Ich möchte gern für die ganze Menschheit sterben! Und was die Schande betrifft, so ist das einerlei – mögen unsere Namen untergehen! Ich habe alle Hochachtung vor Ihrem Bruder!«
»Ich auch!« rief ganz unerwartet aus dem Haufen jener andere Junge, der früher einmal erklärt hatte, er wisse, wer Troja gegründet hat. Nachdem er das gerufen hatte, errötete er wie damals über das ganze Gesicht bis an die Ohren.
Aljoscha ging hinein. In einem himmelblauen, mit einer weißen Rüsche geschmückten Sarg lag mit zusammengelegten Händen und geschlossenen Augen Iljuscha. Die Züge seines abgemagerten Gesichts hatten sich kaum verändert, und seltsam, es ging von der Leiche fast gar kein Geruch aus. Der Ausdruck des Gesichts war ernst und gleichsam nachdenklich. Besonders schön waren die über der Brust verschränkten Hände, die wie aus Marmor gemeißelt aussahen. Man hatte ihm Blumen in die Hände gesteckt, und auch der Sarg war bereits außen und innen mit Blumen geschmückt, die Lisa Chochlakowa schon bei Tagesanbruch geschickt hatte. Es waren aber auch noch Blumen von Katerina Iwanowna gekommen, und als Aljoscha die Tür öffnete, hatte der Stabskapitän eine Menge Blumen in seinen zitternden Händen und bestreute mit ihnen erneut seinen lieben Jungen. Er blickte den eintretenden Aljoscha kaum an und mochte überhaupt niemanden ansehen, nicht einmal seine weinende Frau, sein »Mamachen«, die fortwährend Versuche machte, sich auf ihren kranken Beinen zu erheben, um ihren toten Sohn aus größerer Nähe betrachten zu können. Ninotschka hatten die Jungen mit ihrem Stuhl ganz dicht an den Sarg herangerückt. Sie saß da, den Kopf an den Sarg gedrückt, und weinte ebenfalls still vor sich hin. Snegirjows Gesicht hatte einen lebhaften, doch gewissermaßen verstörten und zugleich verbitterten Ausdruck. Seine Gebärden und die Worte, die ihm entfuhren, machten den Eindruck, als sei er nur halb bei Verstand. »Väterchen, liebes Väterchen!« rief er alle Augenblicke, indem er Iljuscha ansah. Er hatte, schon als Iljuscha noch lebte, die Gewohnheit gehabt, zu ihm liebkosend »Väterchen, liebes Väterchen!« zu sagen.
»Papachen, gib auch mir ein Blümchen! Nimm es ihm aus der Hand, dieses weiße da, und gib es mir!« bat das »Mamachen« schluchzend. Ob ihr nun die kleine weiße Rose, die Iljuscha in der Hand hielt, so gefiel oder ob sie gern eine Blume aus seinen Händen zur Erinnerung haben wollte, jedenfalls geriet sie mit dem ganzen Körper in unruhige Bewegung und streckte die Hände nach der Blume aus.
»Ich werde sie niemandem geben! Niemandem werde ich etwas geben!« rief Snegirjow schroff. »Es sind seine Blumen, und nicht deine. Alles gehört ihm, nichts gehört dir!«
»Papa, geben Sie doch Mama die Blume!« bat Ninotschka, die auf einmal ihr tränennasses Gesicht hob.
»Niemandem werde ich etwas geben, und ihr am wenigsten! Sie hat ihn nicht geliebt. Sie hat ihm damals die kleine Kanone weggenommen, und er hat sie ihr geschenkt!« rief der Stabskapitän und schluchzte plötzlich laut auf in Erinnerung daran, wie Iljuscha damals seine kleine Kanone der Mama überlassen hatte. Die arme Frau bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte stille Tränen.
Da die Jungen sahen, daß der Vater den Sarg nicht freigab, und es inzwischen Zeit geworden war, ihn hinauszutragen, umringten sie endlich in einem dichten Haufen den Sarg und wollten ihn hochheben.
»Ich will ihn nicht auf dem Kirchhof begraben!« schrie Snegirjow. »Er soll an dem Stein begraben werden, an unserem lieben Stein! So hat es Iljuscha gewollt. Ich lasse ihn nicht auf den Kirchhof tragen!«
Er hatte auch früher, die ganzen drei Tage, immerzu davon geredet, daß der Tote an dem Stein begraben werden sollte, doch hatten viele dagegen Einspruch erhoben: Aljoscha, Krassotkin, die Hauswirtin, deren Schwester und alle Kameraden.
»Was ist das für ein Einfall! An dem ungeweihten Stein soll er begraben werden wie ein Selbstmörder!« hatte die alte Wirtin in strengem Ton gescholten. »Dort auf dem Kirchhof ist die Erde geweiht. Dort wird man für ihn beten. Der Gesang aus der Kirche wird bis zu seinem Grab zu hören sein, und der Diakon liest so laut und deutlich, daß es immer bis zu dem Jungen dringen wird, als ob die Gebete über seinem Grabhügel gelesen würden.«
Der Stabskapitän machte schließlich eine resignierte Handbewegung, welche etwa besagte.
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