Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
rief Aljoscha.
Katja war auf der Schwelle erschienen. Einen Augenblick blieb sie stehen und sah Mitja fassungslos an. Mitja sprang eilig auf, sein Gesicht drückte Schrecken aus, er wurde blaß. Doch sogleich trat ein schüchternes, flehendes Lächeln auf seine Lippen, und er streckte plötzlich Katja beide Hände entgegen. Als Katja das sah, stürzte sie schnell zu ihm. Sie ergriff seine Hände, zwang ihn fast, sich auf das Bett zu setzen, setzte sich selbst neben ihn und drückte ihm fest und krampfhaft die Hände, die sie noch immer festhielt. Mehrere Male versuchten beide, etwas zu sagen, aber jedesmal hielten sie inne und blickten sich wieder schweigend und regungslos mit einem seltsamen Lächeln an. So vergingen mehrere Minuten.
»Hast du mir verziehen?« stammelte Mitja endlich, wandte sich im gleichen Moment an Aljoscha und rief ihm mit vor Freude ganz entstelltem Gesicht zu: »Hörst du, was ich frage? Hörst du?«
»Deswegen habe ich dich ja auch geliebt, weil du ein großmütiges Herz hast!« sagte Katja; diese Worte entfuhren ihr offenbar unwillkürlich. »Du brauchst aber nicht meine Verzeihung, sondern ich deine. Magst du mir nun verzeihen oder nicht – du wirst für das ganze Leben eine schmerzende Wunde in meiner Seele bleiben und ich in deiner. Anders kann es nicht sein ...«
Sie schwieg, um Atem zu schöpfen.
»Wozu bin ich hergekommen?« begann sie von neuem, jetzt hastig und hingerissen. »Um deine Füße zu umarmen, um dir die Hände zu drücken, siehst du, so, bis es weh tut, erinnerst du dich, wie ich sie dir in Moskau gedrückt habe? Um dir wieder zu sagen, daß du mein Gott bist, meine Freude, um dir zu sagen, daß ich dich sinnlos liebe!« stöhnte sie qualvoll und preßte auf einmal leidenschaftlich ihre Lippen auf seine Hand. Tränen traten ihr in die Augen.
Aljoscha stand schweigend und verwirrt da; was er jetzt sah, hatte er in keiner Weise erwartet.
»Die Liebe ist vergangen, Mitja«, begann Katja wieder. »Aber teuer, schmerzlich teuer ist mir das Vergangene! Das sollst du wissen fürs ganze Leben! Aber jetzt, für einen kurzen Augenblick, mag das sein, was hätte sein können«, stammelte sie mit schmerzerfülltem Lächeln und sah ihm wieder froh in die Augen. »Du liebst jetzt eine andere, und ich liebe einen anderen. Trotzdem werde ich dich mein Leben lang lieben – und du mich, hast du das gewußt? Hörst du, liebe mich, liebe mich dein ganzes Leben lang!« rief sie, und ihre Stimme zitterte dabei fast drohend.
»Ich werde dich lieben und ... Weißt du, Katja«, sagte Mitja, mußte jedoch nach jedem Wort Atem holen. »Weißt du, ich habe dich auch vor fünf Tagen, an jenem Abend geliebt ... Als du hingefallen warst und hinausgetragen wurdest ... Mein ganzes Leben lang ! Und so wird es bleiben, so wird es immer bleiben ...«
Sie stammelten einander Worte zu, fast sinnlose, verzückte Worte, die vielleicht nicht einmal wahr waren. In diesem Augenblick aber war alles Wahrheit, und jeder von ihnen glaubte fest an die Wahrheit dessen, was er sagte.
»Katja«, rief Mitja plötzlich, »glaubst du, daß ich den Mord begangen habe? Ich weiß, daß du es jetzt nicht glaubst, aber damals, als du deine Aussage machtest ... Hast du es wirklich, wirklich geglaubt?«
»Auch damals habe ich es nicht geglaubt! Niemals habe ich es geglaubt! Ich haßte dich und redete es mir ein, nur für den einen Augenblick ... Als ich die Aussage machte, da redete ich es mir ein und glaubte es ... Doch als ich mit der Aussage fertig war, hörte ich sogleich wieder auf, es zu glauben. Das sollst du alles wissen. Ich vergaß, daß ich hingekommen war, um mich selbst zu demütigen!« sagte sie plötzlich in völlig verändertem Ton, der mit dem vorhergehenden Liebesgestammel keinerlei Ähnlichkeit hatte.
»Du hast schwer zu leiden, Katja!« sagte Mitja. Die Worte kamen ihm von selbst auf die Lippen, ohne daß er sie hätte zurückhalten können.
»Laß mich jetzt gehen!« flüsterte sie. »Ich werde noch einmal wiederkommen, aber jetzt ist mir zu schwer ums Herz ...«
Sie erhob sich von ihrem Platz, doch auf einmal schrie sie laut auf und taumelte zurück. Gruschenka war ganz leise ins Zimmer getreten. Niemand hatte sie erwartet. Katja schritt hastig zur Tür; als sie sich Gruschenka genähert hatte, blieb sie plötzlich stehen, wurde kreideweiß und flüsterte ihr leise, fast stöhnend, zu: »Verzeihen Sie mir!«
Gruschenka starrte ihr ins Gesicht und antwortete, nachdem sie eine Weile gewartet
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