Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
höre jetzt auch das übrige, ich will auch die andere Hälfte meiner Seele vor dir aufdecken. Was ich mir ausgedacht und beschlossen habe, ist dies: Wenn ich nun fliehe, sogar mit Geld und mit einem Paß, und sogar nach Amerika, so ermutigt mich dazu noch der Gedanke, daß ich nicht in ein frohes, glückliches Leben fliehe, sondern in Wirklichkeit zu einer anderen Strafe, die vielleicht nicht geringer ist als die vorgesehene! Nicht geringer, Alexej, ich rede im Ernst, nicht geringer! Ich hasse dieses Amerika schon jetzt, hol's der Teufel! Und wenn auch Gruscha bei mir ist – schau sie doch an: Na, ist sie etwa eine Amerikanerin? Sie ist eine Russin, Russin mit Leib und Seele! Sie wird sich nach der heimatlichen Erde zurücksehnen, und ich werde in jeder Stunde sehen, daß sie meinetwegen leidet, meinetwegen dieses Kreuz auf sich genommen hat, denn sie selbst trägt ja keine Schuld. Und ich, werde ich die Kerle dort ertragen können, wenn sie auch vielleicht alle besser sind als ich? Ich hasse dieses Amerika schon jetzt! Und mögen sie da auch vorzügliche Techniker oder sonst etwas sein – hol' sie der Teufel, sie sind keine Menschen von meiner Art, sie haben andere Seelen! Ich liebe Rußland, Alexej, ich liebe den russischen Gott, wenn ich auch selbst ein Schuft bin! Ich werde da krepieren!« rief er, und seine Augen funkelten und seine Stimme zitterte von unterdrückten Tränen.
»Also dann höre, was ich beschlossen habe, Alexej!« begann er von neuem, nachdem er seiner Erregung Herr geworden war. »Sobald ich mit Gruscha dort angekommen bin, fangen wir gleich an zu pflügen und zu arbeiten, bei den wilden Bären, in der Einsamkeit, irgendwo ganz weit weg. Es wird sich ja auch dort ein ganz entlegener Ort finden lassen! Dort gibt es, wie man sagt, noch Rothäute, irgendwo am Rand des Horizonts. Na, also an diesen Rand werden wir ziehen, zu den letzten Mohikanern. Na, und dann machen wir uns sofort an die Grammatik, ich und Gruscha. Arbeit und Grammatik, und das drei Jahre lang! In diesen drei Jahren lernen wir die englische Sprache so, daß wir sie ebensogut können wie jeder beliebige Engländer. Und sobald wir sie gelernt haben – Schluß mit Amerika! Wir kommen schleunigst wieder hierher nach Rußland – aber als amerikanische Bürger. Sei unbesorgt, hier in diesem Städtchen werden wir uns nicht blicken lassen. Wir werden uns irgendwo weit weg von hier verbergen, im Norden oder im Süden. Ich werde mich bis dahin äußerlich verändert haben und sie ebenfalls. Dort in Amerika wird mir ein Arzt eine falsche Warze machen, auf so etwas müssen sie sich als Mechaniker ja verstehen. Oder ich steche mit ein Auge aus und lasse mir den Bart eine Elle lang wachsen, er wird ganz grau aussehen, denn vor Sehnsucht nach Rußland werde ich ergrauen – und dann wird mich wohl niemand erkennen. Wenn sie mich aber doch erkennen, dann sollen sie mich nach Sibirien schicken, ganz egal, dann ist das eben mein Schicksal! Hier werden wir ebenfalls irgendwo in einer abgelegenen Gegend die Erde pflügen, und ich werde mein ganzes Leben lang als Amerikaner auftreten. So werden wir wenigstens auf heimischer Erde sterben. Das ist mein Plan, und der ist unabänderlich. Billigst du ihn?«
»Ja, ich billige ihn«, antwortete Aljoscha, der ihm nicht widersprechen wollte.
Mitja schwieg einen Augenblick und sagte dann plötzlich: »Aber wie kunstvoll sie das alles bei der Gerichtsverhandlung arrangiert hatten ! Ganz erstaunlich!«
»Auch wenn sie das nicht getan hätten, wärst du doch verurteilt worden«, sagte Aljoscha mit einem Seufzer.
»Ja, ich war dem hiesigen Publikum zuwider geworden! Gott verzeihe es ihnen – aber es ist schwer zu ertragen«, sagte Mitja gequält.
Sie schwiegen wieder eine Weile.
»Aljoscha, töte mich lieber gleich!« rief Mitja plötzlich. »Wird sie kommen oder nicht? Sprich! Was hat sie gesagt? Wie hat sie es gesagt?«
»Sie sagte, sie würde kommen. Ich weiß aber nicht, ob heute. Es fällt ihr schwer!« antwortete Aljoscha und blickte den Bruder schüchtern an.
»Na, wie sollte es ihr auch nicht schwerfallen! Aljoscha, ich werde darüber den Verstand verlieren ... Gruscha sieht mich immer so an. Sie begreift etwas. Du mein Gott und Herr, gib mir Ruhe! Wonach verlangt es mich? Nach Katja verlangt es mich! Verstehe ich auch, wonach mich verlangt? Das ist das verfluchte Karamasowsche Ungestüm! Nein, zum Leiden bin ich nicht fähig! Ein Schuft bin ich: Damit ist alles gesagt!«
»Da ist sie!«
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