Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
dir? Was hast du?« schrie er, auf ihn losstürzend und ihn in seine Arme schließend. »Erkläre mir doch alles! Ich verstehe dich nicht, auch deine Traurigkeit verstehe ich nicht! Was ist mit dir, du mein Märtyrer? Was? Sage mir doch alles, ohne etwas zu verheimlichen. Es kann doch nicht sein, daß nur diese eine Ursache ...«
Wassja schmiegte sich fest an ihn und konnte kein Wort hervorbringen. Sein Atem stockte.
»Genug, Wassja, schon gut! Nun, nehmen wir an, daß du mit der Arbeit nicht fertig wirst, – was ist denn dabei? Ich verstehe dich nicht! Erzähle mir offen, warum du so leidest. Du siehst doch, daß ich für dich ... Ach, mein Gott, mein Gott!« sagte er, immer auf und ab gehend und nach jedem Gegenstand greifend, der ihm gerade unter die Hände kam, als suchte er eine Arznei für Wassja. »Ich werde morgen statt deiner zu Julian Mastakowitsch gehen, ich werde ihn bitten, ihn um einen Tag Aufschub für dich anflehen. Ich will ihm alles, alles erklären, wenn er dich so quält ... «
»Gott behüte!« schrie Wassja auf. Er war kreidebleich und konnte sich kaum auf den Beinen halten.
»Wassja! Wassja!«
Wassja kam zu sich. Seine Lippen bebten. Er wollte etwas sagen, konnte aber nur stumm und krampfhaft Arkadijs Hand drücken. Seine Hand war kalt. Arkadij stand vor ihm in banger, qualvoller Erwartung. Wassja blickte ihn wieder an.
»Wassja! Gott sei mit dir! Du hast mein Herz zerrissen, du mein lieber, guter Freund!«
Tränenfluten stürzten aus Wassjas Augen; er fiel in Arkadijs Arme.
»Ich habe dich betrogen, Arkadij,« sagte er, »ich habe dich betrogen! Verzeihe es mir ... Verzeihe ... Ich habe meinen besten Freund betrogen ...«
»Was ist denn, Wassja? Was?« fragte Arkadij voller Entsetzen.
»Hier!«
Und Wassja holte mit verzweifelter Gebärde aus der Tischschublade sechs sehr dicke Hefte hervor, die genau so aussahen wie das, das er abschrieb, und schleuderte sie auf den Tisch.
»Was ist denn das?«
»Das alles muß ich bis übermorgen abschreiben! Ich kann kaum den vierten Teil davon fertig machen!«
»Frage nicht, frage nicht, wie das geschehen ist,« fuhr Wassja fort: er wollte sich nun offenbar das Herz erleichtern. »Arkadij! Mein Freund! Ich weiß selbst nicht, was mit mir war. Es ist mir, als ob ich jetzt erst aus einem Traume erwachte. Ich habe ganze drei Wochen verloren. Ich bin immer ... zu ihr gelaufen ... Das Herz tat mir weh, ich verzehrte mich ... in Ungewißheit ... Ich konnte nicht schreiben. Ich konnte an die Arbeit nicht einmal denken. Und erst jetzt, wo das Glück mir schon so nahe ist, bin ich zur Besinnung gekommen.«
»Wassja!« begann Arkadij Iwanowitsch energisch. »Wassja! Ich werde dich retten! Jetzt begreife ich alles. Die Sache ist wirklich ernst. Ich werde dich retten! Höre, höre, was ich dir sagen werde: ich gehe gleich morgen zu Julian Mastakowitsch ... Schüttele nicht den Kopf, sondern höre mir zu! Ich werde ihm den ganzen Sachverhalt erzählen; du mußt mir erlauben, das zu tun ... Ich will ihm alles erklären! ... Ich gehe bis zum Äußersten! Ich werde ihm erzählen, wie unglücklich du bist und wie du dich quälst ...«
»Weißt du auch, daß du mich jetzt umbringst?« versetzte Wassja, den es vor Schreck kalt überlief.
Arkadij Iwanowitsch erbleichte zunächst; dann überlegte er sich und lachte auf.
»Ist das alles? Bedenke doch, Wassja, was du sprichst! Schämst du dich gar nicht? Höre einmal! Ich sehe, daß ich dich kränke. Du siehst also, daß ich dich verstehe, und daß ich weiß, was in dir vorgeht. Wir leben ja, Gott sei Dank, schon fünf Jahre zusammen. Du bist ein zarter, guter Mensch, doch sehr schwach, unverzeihlich schwach. Das hat auch schon Lisaweta Michailowna bemerkt. Außerdem bist du auch ein Träumer, und das ist ebenfalls nicht gut; man kann dabei leicht den Verstand verlieren, mein Lieber! Höre einmal, ich weiß ja, was du willst! Du willst zum Beispiel, daß Julian Mastakowitsch ganz außer sich vor Freude sei, weil du heiratest, und aus diesem Anlasse sogar einen Ball geben möchte ... Warte, warte! Du verziehst das Gesicht. Siehst du, schon wegen dieser paar Worte bist du für Julian Mastakowitsch beleidigt! Ich will also nicht mehr von ihm sprechen. Ich verehre ihn ja nicht weniger als du. Aber das wirst du nicht bestreiten und mir auch nicht zu denken verbieten: dein Wunsch ist, daß es keinen einzigen unglücklichen Menschen auf Erden mehr gäbe, wenn du heiratest ... Ja, mein Lieber, du mußt mir zugeben,
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