Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
zugefügt worden sei, und weshalb er dann entgegnete: »Nein, uns ist recht geschehen, denn das Volk hätte uns verurteilt.« Es hätte sie verurteilt, weil es, wie er sich überzeugt hatte, zu der west-europäisch denkenden Intelligenz kein Vertrauen haben wollte, haben konnte. In seiner späteren Kennzeichnung der Stellung Raskolnikoffs unter den übrigen Sträflingen drückt er wiederum ein eigenes Erlebnis mit den Worten aus, daß er, Raskolnikoff, den Unterschied zwischen sich und diesen Sträflingen als so groß empfand, als wären sie Menschen von verschiedener Rasse gewesen ... Er, Raskolnikoff, habe die allgemeinen Gründe dieses Unterschiedes zwar schon lange gewußt und begriffen, doch nie hätte er früher zugegeben, daß diese Gründe in der Tat so tief und so stark waren.
Über die Frage, wie die Erlebnisse im Zuchthause gesundheitlich auf Dostojewski eingewirkt haben, ist es ja nach seinem Tode in unserer Presse zu einer richtigen Polemik gekommen. Es wurde die Ansicht ausgesprochen, daß der Ausbruch seiner Krankheit, die Epilepsie, auf eine erlittene körperliche Züchtigung (Rutenhiebe) zurückzuführen sei. Diese Auffassung ist aber vollkommen haltlos, vielmehr wird u. a. auch von Dr. Janowski ausdrücklich darauf hingewiesen, daß niemand von ihm auch nur eine Anspielung auf etwas ähnliches gehört hat, obgleich er sich ihm, dem Arzt, wie seinem Bruder Michail Michailowitsch, und in Genf dem Priester Petroff gegenüber mit aller Offenheit über seine Sträflingszeit ausgesprochen habe. Im übrigen aber dürften sich die über das erste Auftreten und die Entwicklung der Krankheit vielfach widersprechenden Aussagen dahin zusammenfassen lassen, daß die Anfälle zwar schon vor der Verbannung auftraten, jedoch von ihm selbst nicht als Epilepsie erkannt wurden; in Sibirien aber hat sich die Krankheit endgültig entwickelt, – bis ihm schließlich ein Zweifel an ihrem wahren Charakter nicht mehr möglich war.
Aber wie einförmig das Leben im Zuchthause auch verlief – schließlich verging die Zeit. Im tiefsten Winter war er ins Zuchthaus gekommen, also mußte er es im Winter wieder verlassen, wenn auch nicht gerade im Dezember, wie es in den »Aufzeichnungen« heißt ...
Nach dieser Autobiographie zu urteilen, muß Dostojewski bereits vom Zuchthause aus, noch vor der Befreiung, seinen Briefwechsel wieder aufgenommen haben. Doch von seinen sibirischen Briefen, die uns vorliegen, ist der erste, der allerdings ausdrücklich auf frühere Briefe Bezug nimmt, am 30. Juli 1854 aus Semipalatinsk an seinen Bruder geschrieben. In allen Briefen beschwört er den Bruder, ihm doch zu schreiben, ihn nicht zu vergessen, ihm Bücher zu schicken und Geld, wenn er kann ... Das Soldatenleben verschlingt seine Zeit, er hofft, der Bruder werde verstehen, daß Soldat zu sein »nicht gerade ein leichtes ist für einen Menschen mit meiner Gesundheit ... Ich murre nicht; dies ist mein Kreuz und ich habe es verdient.« Er lebt einsam, verbirgt sich sogar vor den Menschen, denn nachdem er fünf Jahre lang stets unter Aufsicht gewesen, ist es ihm »die größte Wonne, manchmal allein zu sein ... übrigens ... vermute nicht, daß ich noch ebenso melancholisch und argwöhnisch bin, wie ich es in den letzten Jahren in Petersburg war. Das ist vollkommen vergangen ...« Weiter heißt es in diesem Brief: »Ich danke Bruder Koljä für die Nachschrift ... ich habe auch endlich von den Schwestern Warenka und Wjerotschka Briefe erhalten ... ich glaube, daß sie mich wirklich so lieben, wie sie sagen«. Am 6. Nov. 1854 schreibt er an den Bruder Andrei: »... ich habe mein neues Leben angefangen. Jene vier Jahre aber betrachte ich als eine Zeit, in der ich lebendig begraben und in einem Sarge eingeschlossen war. In dieser ganzen Zeit habe ich von Euch allen nicht die kleinste Nachricht erhalten ...«
Ende November lernt Dostojewski den jungen, damals 23jährigen, Baron A.E. Wrangel kennen, den er in einem späteren Brief als einen Menschen mit den besten Eigenschaften schildert, als seinen Freund, der ihm in dieser Zeit unendlich viel Gutes erwiesen hat, doch liebe er ihn nicht nur deswegen. Er sei unmittelbar aus dem Lyzeum nach Sibirien gekommen, mit der großzügigen Absicht, das Land kennen zu lernen, nützlich zu sein usw.
In dieser ersten Zeit der Freundschaft mit Wrangel tritt nun, man kann Wohl sagen, ganz unverhofft der Regierungswechsel ein, der auch für Dostojewskis weiteres Schicksal von größter Bedeutung sein
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