Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
anderen vollkommen falschen Angaben gesagt worden war, er sei »in den Prozeß Petraschewski verwickelt gewesen,« sah er sich gezwungen – »da niemand verpflichtet ist, über den Prozeß Petraschewski unterrichtet zu sein« und man danach ebensogut glauben könne, er sei »wegen Raubes« verurteilt worden –, in seinem »Tagebuch eines Schriftstellers« ausdrücklich zu erklären, und er hat die Worte unterstrichen, daß er » als politischer Verbrecher verschickt « war.
In der bereits erwähnten biographischen Skizze, die Dostojewski für das Ausland diktiert hat, sagt er auch noch ausdrücklich, daß die Gepflogenheiten und Sitten, die er in diesen Aufzeichnungen beschrieben hat, »in Rußland nun schon lange abgeändert sind« – damit wollte er offenbar auf alle die verschiedenen Reformen hinweisen, die wir dem Kaiser Alexander II. verdanken. Freilich, jene von Spießruten soeben zerfleischten Rücken, die Dostojewski im Lazarett des Zuchthauses zu sehen bekam, konnte man mit so vernichtendem Realismus nur unter der Herrschaft eines Kaisers, der dieses Strafverfahren abgeschafft hatte, zu schildern wagen. Und doch, obgleich diese alte Zeit erst kaum vergangen ist, sind diese Gepflogenheiten und Sitten von Dostojewski schon so geschildert, daß es einen schaudert – vor diesen Ketten, die niemals von den Füßen kommen; vor diesem Rasieren der Köpfe mit dem stumpfen Messer; vor diesem Zuber, der die ganze Nacht die Luft im Schlafraum verpestet; vor dieser Legion von Flöhen, die jeden Schlaf verscheuchen; und vor dem nach Fäulnis riechenden schmierigen Krankenkittel, den aber trotzdem auch Gesunde im Lazarett anziehen, bloß um das tagtägliche Zuchthausleben einmal zu unterbrechen, und wenns auch nur um diesen Preis möglich ist; und schließlich vor dem rohen Eigendünkel dieses Majors, der sich für den Zaren, ja, für den Gott der Sträflinge erklärt, weil er mit ihnen tun kann, was er will – diese Krönung des Ganzen! Aber trotz alledem fühlt man, wenn man diese Aufzeichnungen liest, daß in diesem Zuchthause keine Pedanterie herrscht, eben weil Pedanterie ja so gar nicht in der Natur des russischen Menschen liegt, jene Pedanterie Vorgesetzter, für die die Vorschriften um der Vorschriften willen heilig sind. Eben dies ist es wohl, was einen englischen Kritiker veranlaßte, darauf hinzuweisen, daß die Behandlung der politischen Verbrecher in Sibirien in vielen Fällen der Behandlung, die sie in West-Europa erfahren, vorzuziehen sei – ja, es werde ihnen in vielen Dingen sogar so durch die Finger gesehen, daß die strengen englischen Gefängniswärter sich darob entsetzen würden. Dabei waren Dostojewski und Turoff noch in den strengsten Ostrogg geraten. Von den anderen Petrachewzen trafen es manche viel besser. So wurde beispielsweise I. Desbut nicht in Ketten, sondern bloß mit Ketten nach K. transportiert, wo sich der Kommandant und die Ingenieuroffiziere mit der größten Teilnahme seiner annahmen und seine Lage nach Möglichkeit zu erleichtern suchten.
Natürlich war die erste Zeit im Zuchthause für Dostojewski die schwerste, und demgemäß haben sich auch, wie er selbst sagt, die Erlebnisse des ganzen ersten Jahres seinem Gedächtnis mit besonderer Schärfe eingeprägt. Als das Schrecklichste erschien ihm anfangs, daß er nie, nie allein sein werde: bei der Arbeit immer unter militärischer Bewachung, im Zuchthause immer mit zweihundert Gefährten zusammen ... und was waren das für Gefährten! Zum Schluß aber schreibt er, daß er sich die ganze Zeit, alle die Jahre im Zuchthause, doch in einer schrecklichen Einsamkeit befunden habe, ja, daß ihm diese Einsamkeit schließlich sogar lieb geworden sei. In dieser unfreiwilligen geistigen Muße begann er, sein ganzes früheres Leben einer Prüfung zu unterziehen, sich selbst mit unnachsichtigster Strenge zu beurteilen – und da hat er denn manchmal dem Schicksal dafür gedankt, daß es ihm diese Einsamkeit und die Möglichkeit einer solchen Überprüfung des Lebens schenkte. Es ist anzunehmen, daß er, je weiter er in dieser Selbstuntersuchung und Selbstverurteilung vordrang, gleichzeitig um so fähiger wurde, auch in die Seelen anderer zu schauen. Aus dieser Menschenkenntnis und diesen Überzeugungen, die er im Zuchthause in vierjährigem engsten Zusammenleben mit der niedrigsten Volksschicht gewann, ist es zu erklären, weshalb er sich später ärgerte, wenn man mitleidvoll davon sprach, welches Unrecht ihm mit der Verurteilung
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