Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
das erste Attentat auf das Leben Alexanders II., den »Zar-Befreier« erfolgte, der schließlich dem sechsten Attentat am 1. März 1881 zum Opfer fiel, vier Wochen nach dem Tode Dostojewskis.
E. K. R.
Die große Reform (die Aufhebung der Leibeigenschaft) war gewissermaßen am Vorabend der Jahrtausendfeier vollzogen worden, und so hätte man das Fest, sollte man meinen, mit beruhigtem Gewissen und »furchtlosem Blick nach vorwärts« begehen können. Doch als der die Festrede vortragende Professor der Universität auf das Maß von Bitternis zu sprechen kam, die das russische Volk im Laufe seines tausendjährigen Lebens zu trinken gehabt, und im Anschluß hieran sagte: »Zur Zeit der Thronbesteigung des heute glücklich regierenden Kaisers war der Becher zum Überlaufen gefüllt ...« – da ließ man ihn nicht zu Ende sprechen, daß der Kaiser nun jenen Überschuß von Bitternis, der sich durch die Leibeigenschaft angesammelt, aus dem Becher weggegossen hatte. Man faßte seine Worte in einem ganz anderen Sinne auf, als sie gemeint waren, und es brach ein wilder Beifallssturm und ein Bravogejubel aus. Ich erinnere mich noch genau, mit welch einem wollüstigen Entzücken damals gerade die Vertreter – nicht des Nihilismus (das sah man an dem Ordensschmuck, den sie trugen), ihren Beifall durch Applaus bekundeten, ungeachtet dessen, daß sie sich in ihren »heiligsten Rechten« verletzt fühlten. Als aber der Vortragende zu dem Satze kam: »Unsere Administratoren stehen am Rande eines Abgrundes ...«, da floß das Entzücken dieser Nihilisten (oder »Revolutionäre« nach Ssamarin) mit dem Entzücken jener Nihilisten zusammen – obschon selbstredend die nach dem Sprichwort sich nun berührenden »Extreme« oder entgegengesetzten Parteien bei der Bezeichnung »Administratoren« – keineswegs an ein und dieselben, sondern an ganz verschiedene Persönlichkeiten dachten.
Die Mehrzahl von uns erinnert sich natürlich noch der Folgen dieses Abends, an dem der bewußte Artikel über das Tausendjährige Rußland zum Vortrag gelangte. Der Redner hatte dafür zu büßen – allerdings nicht wegen der paar Worte, die er außer dem von der Zensur genehmigten Text sagte, sondern wegen der ungeheuren Wirkung seines Vortrags – der mißverstanden worden war. Ein Teil der studierenden Jugend verlangte nun von den Professoren, daß sie ihre Vorlesungen einstellten, da nach alledem, was vorgefallen war, eine Fortsetzung der Universitätskurse, die damals in den Sälen der Duma stattfanden, bereits undenkbar war. Einer der Professoren fand jedoch, daß man um einer Demonstration willen nicht die Wissenschaft aufgeben müsse, und verfocht seinen Standpunkt auch gegen die pfeifende und zischende Mehrheit. Der betreffende Professor mußte aber – ich glaube ganz gegen seinen Wunsch – den Abschied nehmen, obgleich seine selbständige Handlungsweise die Jugend gewiß eher eines Besseren hätte belehren können, als die vorhergegangene Festungshaft der Haupturheber jener Unruhen, die die Schließung der Universität veranlaßt hatten. Diese Festungshaft hatte in der Jugend bekanntlich nur den Eigendünkel erhöht, zumal sie sich zu ihrer Weigerung, die neuen Vorschriften anzunehmen, von einem durchaus ernsten und edlen Beweggrund hatten bestimmen lassen: es war das ihr Unvermögen, sich damit auszusöhnen, daß nach diesen Vorschriften von nun an alle für den Besuch der Vorlesungen ein Kollegiengeld zahlen mußten , »wodurch alle diejenigen jungen Leute, denen die Mittel dazu fehlten, den Zutritt zur höheren Bildung verloren«. Wer das nicht wußte, dem konnte diese Auflehnung wegen irgendwelcher »Matrikel« gerade jetzt in der großen Zeit der Bauernbefreiung tragi-komisch erscheinen! Das Volk wußte natürlich nicht, um was es sich handelte, und urteilte von seinem Gesichtspunkte aus: »Die jungen Herrlein revoltieren, weil man uns die Freiheit gegeben hat.«
Alles das zusammen bildete schon eine Reihe verwickelter, bunter Erscheinungen, die bereits entschieden jene Erscheinungen ankündigten, die von Dostojewski später in den »Dämonen« geschildert worden sind. Ich kann mich jetzt nicht mehr darauf besinnen, ob Dostojewski an jenem denkwürdigen Abend vor mehr als zwanzig Jahren auch zugegen war, – doch die wesentlichen Züge der Ereignisse jenes Abends finden wir wiedergegeben in den fast zehn Jahre später geschriebenen »Dämonen« (in der Schilderung des literarischen Vormittags, der zu einem wohltätigen Zweck
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