Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
dieser Leute ihn für sie erfunden haben konnte, um sie ein für allemal unmöglich zu machen. Diese Proklamation verdroß mich schrecklich und ich fühlte mich den ganzen Tag bedrückt. Das war damals alles noch so neu und dermaßen nahe, daß selbst diese Menschen richtig zu erkennen schon schwer war. Schwer namentlich deshalb, weil man gewissermaßen nicht glauben wollte, daß sich unter diesem verwirrenden Getümmel eine solche Nichtigkeit verberge. Ich spreche jetzt nicht von der damaligen Bewegung als solcher, sondern nur von den Menschen. Was die Bewegung betrifft, so war sie eine schwere, krankhafte, aber durch ihre historische Bedingtheit doch schicksalsvolle Erscheinung, die einmal ihr ernstes Blatt in der Petersburger Periode unserer Geschichte haben wird. Ja, und dieses Blatt ist, scheint es, noch lange nicht zu Ende geschrieben.
»Und da ärgerte ich mich nun plötzlich, obgleich ich schon lange mit meiner Seele und meinem Herzen weder mit diesen Leuten, noch mit dem Sinne ihrer Bewegung übereinstimmte –, ärgerte mich und schämte mich fast für ihre Ungeschicktheit: ›Warum kommt das bei ihnen so dumm und ungeschickt heraus‹? Und was ging denn das schließlich mich an? Aber es tat mir ja doch nicht um ihren Mißerfolg leid. Von den eigentlichen Urhebern und Verbreitern der Proklamationen kannte ich keinen einzigen und kenne sie auch jetzt nicht; aber das war ja das Traurige dabei, daß diese Erscheinung sich mir nicht als ein einzelner Fall darstellte, als ein törichter Streich bestimmter Personen, auf die es weiter nicht ankam. Hier bedrückte vielmehr eine Tatsache: das Niveau der Bildung, der Entwicklung und das Fehlen selbst des geringsten Verstehens der Wirklichkeit, – das war es, was so entsetzlich niederdrückend wirkte. Obgleich ich schon seit drei Jahren wieder in Petersburg lebte und bereits manche Erscheinungen beobachtet hatte, machte diese Proklamation an jenem Morgen doch einen furchtbaren Eindruck auf mich, sie wirkte gleichsam wie eine neue, völlig unerwartete Entdeckung: ich hatte bis dahin noch nie eine solche Nichtigkeit hinter alldem für möglich gehalten! Es erschreckte einen namentlich der Grad dieser Nichtigkeit. Kurz vor dem Abend fiel es mir plötzlich ein, Tschernyschewski aufzusuchen. Bis zu diesem Augenblick hatte ich noch nie daran gedacht, zu ihm zu gehen, ganz wie auch er noch nie bei mir gewesen war... Ich traf ihn ganz allein zu Hause an, auch von den Dienstboten war niemand da, und er machte mir selbst die Tür auf. Er empfing mich überaus bereitwillig und fühlte mich in sein Arbeitszimmer.
»›Nikolai Gawrilowitsch, was bedeutet das hier?‹ Ich zog die Proklamation hervor.
»Er nahm sie wie etwas ihm vollkommen Unbekanntes und las sie durch. Es waren im ganzen zehn Zeilen. »›Nun, und?‹ fragte er mit einem leichten Lächeln.
»›Sind diese Leute wirklich so dumm und so lächerlich? Sollte es nicht doch möglich sein, sie zurückzuhalten und dieser Schändlichkeit ein Ende zu machen?‹
»Darauf antwortete er sehr gewichtig und eindringlich: ›Glauben Sie denn, daß ich mit jenen solidarisch bin, und halten Sie es für möglich, daß ich an der Abfassung dieses Textes beteiligt gewesen sein könnte?‹
»›Das ist's ja, daß ich das nicht glaube‹, versetzte ich, ›und ich halte es sogar für überflüssig, Sie dessen noch zu versichern. Jedenfalls aber muß man ihnen Einhalt tun, um jeden Preis. Ihr Wort ist für sie von Gewicht und natürlich fürchten sie Ihre Meinung.‹
»›Ich kenne keinen von ihnen‹.
»›Auch davon bin ich überzeugt. Aber es ist ja gar nicht nötig, sie zu kennen und persönlich mit ihnen zu sprechen. Sie brauchen nur laut, gleichviel wo, zu erklären, daß Sie diese Treibereien tadeln, und es wird schon zu ihnen gelangen‹.
»›Vielleicht wird das auch keinen Einfluß haben. Ja und schließlich sind auch diese Erscheinungen als Begleiterscheinungen unvermeidlich‹.
»›Und doch schaden sie allen und allem‹.
»Es klingelte und ein anderer Gast erschien – ich erinnere mich nicht mehr, wer es war. Da verabschiedete ich mich und fuhr nach Hause. Ich halte es für meine Pflicht, zu bemerken, daß ich mit Tschernyschewski ganz offenherzig sprach und durchaus daran glaubte, wie ich auch jetzt daran glaube, daß er mit den Verfassern und Verbreitern dieser Proklamation nicht ›solidarisch‹ gewesen ist. Ich hatte den Eindruck, daß mein Besuch ihm nicht unangenehm war; ein paar Tage später bestätigte
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