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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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niemals ein »getreuer Untertan der Revolution« (wie Ssamarin sich in diesen Briefen an Herzen, bezugnehmend auf andere Zeitgenossen, ausdrückt), und darum war er auch nie »Opportunist«.
    Aus Sibirien mit einem unermeßlichen Vorrat von Glauben und Liebe zurückgekehrt, und mit dem heißen Verlangen nach Einigkeit bei der aufbauenden Arbeit zum Wohle des Vaterlandes, mußte er mit wachsendem Unwillen die ringsum mehr und mehr hervortretenden Anzeichen einer negativen Tätigkeit zum Zwecke der Zerstörung erkennen. So ist deshalb wohl ohne weiteres zu verstehen, daß er sich bei seiner Geradheit immer mehr Feinde machen mußte.
    Unter diesen Verhältnissen und in dieser Lage nahm Dostojewski seine literarische Tätigkeit nun wieder auf. Gerade im Jahre der Bauernbefreiung begann er in Gemeinschaft mit seinem älteren Bruder die Monatsschrift »Die Zeit« herauszugeben.
    Doch meine Aufgabe ist nur, seinen Lebenslauf bis zu diesem Augenblick zu verfolgen. Ich übergebe die Feder seinem nächsten Mitarbeiter an dieser Zeitschrift – als dem unmittelbaren Teilnehmer und Augenzeugen der weiteren Lebenszeit Fjodor Michailowitschs.
    Orest Miller

Winteraufzeichnungen über Sommereindrücke
     

Erstes Kapitel: Statt eines Vorworts
     
    Seit wieviel Monaten, meine Freunde, drängen Sie mich nun schon, Ihnen doch endlich meine ausländischen Eindrücke zu erzählen, und dabei scheinen Sie nicht einmal zu ahnen, daß Sie mich mit Ihrer Bitte einfach in Verlegenheit setzen. Was soll ich Ihnen denn berichten? Was kann ich Ihnen Neues, noch Unbekanntes, noch nicht Erzähltes erzählen? Wem von uns Russen (d. h. von den Russen, die wenigstens Zeitschriften lesen) ist Europa nicht doppelt so gut bekannt wie Rußland? »Doppelt so gut« habe ich soeben nur aus Bescheidenheit gesagt, in Wirklichkeit aber dürfte uns Europa sicherlich zehnmal besser bekannt sein. Doch abgesehen von diesen allgemeinen Bedenken wissen Sie ja ganz genau, daß gerade ich im besonderen eigentlich gar nicht das Recht habe, etwas zu erzählen, oder gar noch regelrecht und schriftlich zu berichten, da ich doch nichts regelrecht betrachtet habe; denn wenn da auch manches an meinem Auge vorübergezogen ist, so bin ich doch gar nicht dazu gekommen, es mir genauer anzusehen. Ich war in Berlin, in Dresden, inWiesbaden, in Baden-Baden, in Köln, in Paris, in London, in Luzern, in Genf, in Genua, in Florenz, in Mailand, in Venedig, in Wien, und in noch manchen anderen Städten, in manchen sogar zweimal, und alles das habe ich in genau zweieinhalb Monaten bereist! Kann man denn überhaupt etwas richtig erkennen, wenn man in so kurzer Zeit so vieles sieht? Wie Sie wissen, hatte ich meinen Reiseplan in Petersburg im voraus festgesetzt. Im Auslande war ich noch nie gewesen, doch schon seit meiner frühesten Kindheit hatte ich hingestrebt, schon damals, als ich noch nicht zu lesen verstand und an den langen Winterabenden mit offenem Munde, fast vergehend vor Entzücken und Grauen, zuhörte, wie meine Eltern vor dem Schlafengehen die Romane der Radcliffe lasen, von denen ich dann noch im Traume fiebernd phantasierte. Erst in meinem vierzigsten Lebensjahre sollte es mir endlich möglich sein, die Reise ins Ausland zu verwirklichen, – da wollte ich selbstverständlich nicht nur soviel wie möglich sehen, sondern wollte einfach alles, unbedingt alles sehen, trotz der kurzen Zeit, die mir zu Gebote stand. So war ich denn auch entschieden unfähig, mir die Wahl der Städte kaltblütig zu überlegen. Herrgott, wieviel ich mir von dieser Reise versprach! »Und wenn ich mir auch nichts eingehend ansehen kann,« dachte ich bei mir, »so werde ich dafür doch alles gesehen haben, werde überall gewesen sein und aus allem Geschauten wird sich ein Gesamtbild, ein allgemeines Panorama ergeben. Das ganze ›Land der heiligen Wunder‹ wird sich mit einem Mal mir darbieten, gleichsam aus der Vogelschau, wie das Gelobte Land von einem Berge aus in der Fernsicht. Jedenfalls wird es ein ganz neuer, wunderbarer, starker Eindruck sein.« So dachte ich damals. Und was bedauere ich jetzt am meisten, wenn ich, wieder zu Hause sitzend, an meine Sommerreise zurückdenke? Nicht das, daß ich mir nichts eingehend angesehen habe, sondern nur, daß ich, der ich doch so ziemlich überall gewesen bin, Rom zum Beispiel nicht gesehen habe. Und in Rom hätte ich vielleicht den Papst zu Gesicht bekommen ... Mit einem Wort, mich hatte nun einmal ein unstillbarer Durst nach Neuem erfaßt, nach

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