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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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kleinen, vielleicht zwölfjährigen Mädchen fassen einen an der Hand und bitten einen, doch mit ihnen zu gehen. Einmal erblickte ich in dem Gewimmel der Straße ein Kind, ein Mädchen von höchstens sechs Jahren, bestimmt nicht älter, in Lumpen gekleidet, schmutzig, barfuß, ausgemergelt und blaugeschlagen – ihr Körper, den man durch die zerrissenen Lumpen sah, war mit blauen Flecken bedeckt. Das Kind ging ohne zu wissen wohin, ja ohne zu wissen, daß es überhaupt ging, ohne sich zu beeilen – Gott weiß weshalb es sich in dem Gewimmel umhertrieb. Vielleicht war es hungrig. Es wurde von Niemand beachtet. Doch was mich am meisten betroffen machte: dieses Kind ging mit dem Ausdruck eines solchen Kummers, einer so hoffnungslosen Verzweiflung im Gesicht, daß der Anblick dieses kleinen Geschöpfes, das schon so viel Fluch und Jammer trug, irgendwie geradezu widernatürlich war und entsetzlich schmerzte. Die Kleine wiegte beim Gehen ihren zerzausten Kopf immer hin und her, von einer Seite auf die andere, ganz als erwäge sie etwas, dazu gestikulierte sie in einem fort, hob ihre kleinen Ärmchen oder schlug plötzlich die Händchen zusammen und preßte sie an ihre nackte, kleine Brust. Ich kehrte um, ging ihr nach und gab ihr einen halben Schilling. Sie nahm die Silbermünze, sah mir dann scheu mit ängstlicher Verwunderung in die Augen und plötzlich begann sie zu laufen, so schnell es ihr im Gedränge nur möglich war, ganz als fürchtete sie, daß ich ihr das Geld wieder wegnehmen könnte. – Ja, es gibt schon eigene Dinge ...
    In einer Nacht aber geschah es, daß in diesem Gedränge verlorener Frauen und Lüstlinge ein weibliches Wesen, das sich eilig durch die Menge drängte, mich anredete. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und trug einen Hut, der ihr Gesicht fast vollständig verbarg; ich kam eigentlich kaum dazu, sie richtig zu sehen; ich erinnere mich nur ihres forschend aufmerksamen Blickes. Sie sagte irgend etwas, das ich nicht verstand, in gebrochenem Französisch, drückte mir ein Blatt Papier in die Hand und ging schnell weiter. Vor dem hellen Fenster eines Cafés besah ich das Papier: es war ein kleines Blatt in Quadratform; auf der einen Seite des Blättchens stand gedruckt: » Crois-tu cela? « Auf der anderen Seite, gleichfalls auf französisch: »Ich bin die Auferstehung und das Leben ...« usw. Die bekannten Worte. Sie werden zugeben, daß auch das ziemlich originell ist. Später sagte man mir, das sei die katholische Propaganda, die überall herumschnüffelt, unablässig, unermüdlich. Bald sind es solche Blättchen, die auf den Straßen verteilt werden, bald sind es kleine Bücher, die Auszüge aus dem Neuen und Alten Testament enthalten. Sie werden umsonst verteilt, aufgedrängt, in die Hand gedrückt. Der Propagandisten gibt es eine Unmenge, sowohl Männer wie Frauen. Es ist das eine Propaganda von feinster und berechnendster Art. Der katholische Geistliche spürt persönlich die arme Familie irgend eines Arbeiters auf, in die er sich dann unmerklich eindrängt. Er findet z. B. einen Kranken, der in Lumpen auf dem feuchten Fußboden liegt, umgeben von Kindern, die von Hunger und Kälte verkommen sind, dazu eine hungrige, nicht selten betrunkene Frau. Er gibt ihnen allen zu essen, gibt ihnen Kleider, sorgt für Heizung, behandelt den Kranken, kauft Arznei, wird zum Freunde der ganzen Familie und schließlich bekehrt er sie alle zum Katholizismus. Manchmal freilich kommt es auch vor, daß man ihn – natürlich erst nach der Heilung und aller Hilfe –, statt sich nun bekehren zu lassen, mit Geschimpfe und Schlägen hinausjagt. Aber er ermüdet nicht; er geht zu anderen. Auch dort wird er hinausgejagt; er erträgt alles, aber den einen oder anderen fängt er schließlich doch. Der anglikanische Geistliche dagegen wird doch nicht zu einem Armen gehen. Arme werden ja nicht einmal in die Kirche gelassen, weil sie nichts haben, womit sie den Platz auf der Bank bezahlen könnten. Die Ehen unter den Arbeitern und überhaupt unter den Armen sind oft illegitim, denn sich trauen zu lassen kostet viel Geld. Übrigens pflegen viele dieser Ehemänner ihre Frauen fürchterlich zu prügeln, ja, sie zu Krüppeln oder halbtot zu schlagen, und zwar geschieht das, wie es scheint, gewöhnlich mit der Feuerzange, mit der man im Kamin die Kohlen schürt. Wenigstens wird in den Zeitungsberichten, die von solchen Familientragödien, schweren Körperverletzungen oder Totschlägen handeln, immer die Feuerzange

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