Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
bliebe ihm der ganze freie Wille. Und wenn er in dieser seiner Freiheit auch geschunden wird, keine Arbeit erhält, dabei Hungers stirbt und seinen freien Willen überhaupt nicht hervorholen kann, – es scheint dem wunderlichen Kauz dennoch, daß es mit eigenem Willen besser sei. Natürlich bleibt dem Sozialisten somit nichts anderes übrig, als auszuspeien und ihm zu sagen, daß er ein Dummkopf, geistig zurückgeblieben und minderwertig sei, und nicht einmal seinen eigenen Vorteil zu begreifen verstehe; daß selbst irgend so eine armselige Ameise, die nicht einmal der Gabe des Wortes teilhaftig geworden ist, klüger sei als er, denn in ihrem Ameisenhaufen sei alles so gut eingerichtet, alles so genau vorliniert, alle Ameisen seien satt und glücklich, jeder Ameiserich kenne seine Aufgabe, kurz: der Mensch habe es noch lange nicht so weit gebracht, wie die Ameisen.
Mit anderen Worten: der Sozialismus mag ja irgendwo verwirklicht werden können, aber nur nicht in Frankreich.
Und da, in der letzten Verzweiflung, erklärt denn der Sozialist schließlich: liberté, égalité, fraternité ou la mort . Nun, hierzu ist schon nichts mehr zu sagen und der Bourgeois triumphiert endgültig.
Aber wenn der Bourgeois triumphiert, so muß doch folgerichtigerweise die Formel des Abbé Sieyès buchstäblich und bis zum letzten Tüpfelchen wahr geworden sein. Der Bourgeois ist nun tatsächlich alles, also warum ist er dabei so unsicher, warum duckt er sich, was fürchtet er denn noch? Alle haben sich vor ihm aus dem Staube gemacht, sind zurückgewichen, alle haben sie vor ihm nicht zu bestehen vermocht. Früher, unter Louis Philippe zum Beispiel, war der Bourgeois durchaus nicht so unsicher und ängstlich, und doch herrschte er auch damals schon. Ja, damals kämpfte er noch, damals witterte er, daß man ihm feind war, und auf den Junibarrikaden rechnete er mit seinen Feinden zum letztenmal mit Gewehr und Bajonett ab. Aber der Kampf nahm ein Ende und da sah der Bourgeois plötzlich, daß er allein auf der Erde war, daß es etwas Besseres als ihn überhaupt nicht gab, daß er das Ideal war, und daß ihm jetzt nicht mehr wie früher oblag, der ganzen Welt zu versichern, er sei das Ideal, sondern einfach und ruhig und in großartiger Haltung vor der ganzen Welt als Fleischwerdung der letzten Schönheit und aller menschlichen Vollkommenheiten zu posieren. Immerhin: eine etwas verwirrende Lage. Aus der befreite ihn Napoleon der Dritte. Der fiel ihnen wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß, als der einzige Ausweg aus der Schwierigkeit, als einzige Möglichkeit. Seit eben der Zeit führt der Bourgeois ein glücklich-wohlgeruhsames Leben, zahlt für seine Wohlfahrt ungeheuerliches Geld und fürchtet dabei alles, ebendeshalb, weil er alles erreicht hat. Wenn man alles erreicht hat, wird es schwer, alles zu verlieren. Daraus folgt schnurstracks, meine Freunde, daß, wer sich am meisten fürchtet, derjenige ist, dem es am besten geht. Lachen Sie bitte nicht. Ja, was ist denn der Bourgeois jetzt?
Siebentes Kapitel: Fortsetzung des Vorhergehenden.
Und warum gibt es unter den Bourgeois so viele Lakaien , und das noch dazu bei so edlem Äußeren? Bitte, kommen Sie mir jetzt nicht mit Vorwürfen, wie etwa, daß ich übertriebe, verleumdete, daß ich aus Haß so spräche. Wozu sollte ich das? Zu welchem Zweck? Haß auf wen? Es gibt ganz einfach viele Lakaien unter ihnen und das ist nun einmal so. Das Lakaientum frißt sich in die Natur des Bourgeois immer mehr hinein und wird immer mehr für eine Tugend gehalten. So muß es ja auch geschehen bei der gegenwärtigen Ordnung der Dinge. Es ist nur eine natürliche Folge. Doch die Hauptsache, die Hauptsache ist – daß die Natur selbst dazu hilft. Ich rede noch nicht einmal davon, daß dem Bourgeois zum Beispiel das Spionieren zu einem guten Teil schon angeboren ist. Meine Meinung ist nun einmal die, daß die außergewöhnliche Verbreitung der Spionage in Frankreich – und zwar nicht nur einer gewöhnlichen, sondern einer meisterhaften, aus Neigung betriebenen, förmlich zur Kunst entwickelten Spionage, die ihre besonderen wissenschaftlichen Methoden hat – eine Folge dieser angeborenen Lakaienhaftigkeit ist. Welch ein ideal edler Gustave wird nicht – so lange er noch nicht viel Geld besitzt – ohne zu zögern für zehntausend Franken die Briefe seiner Geliebten ausliefern und damit die Frau an ihren Mann verraten? Vielleicht übertreibe ich hier zum Teil, aber vielleicht urteile ich
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