Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
wenn man gelesen werden will, sogar weit ratsamer, unverständlich zu schreiben. Nur in den »Moskauer Nachrichten« werden die Leitartikel anderthalb Spalten lang geschrieben und sind – sonderbar! – dennoch verständlich; allerdings nur, wenn sie von der bekannten Feder herrühren. In der »Stimme« dagegen werden sie in einer Länge von acht, von neun, von zwölf und selbst von dreizehn Spalten geschrieben. Daraus sieht man, wieviel Spalten man hier verschwenden muß, um es durchzusetzen, daß man geachtet wird.
Mit anderen zu sprechen, – das ist bei uns eine ganze Wissenschaft. D. h., auf den ersten Blick mag es ja scheinen, daß es hier dasselbe sei wie in China: ganz wie dort gibt es auch bei uns einzelne sehr vereinfachte und rein wissenschaftliche Bräuche. Früher, zum Beispiel, bedeuteten die Worte »ich verstehe nichts davon« nur, daß der Betreffende, der sie aussprach, dumm war; hingegen jetzt – jetzt bringen sie einem die größte Ehre ein. Man braucht neuerdings nur mit offener Miene und stolz zu sagen: »Ich verstehe nicht die Religion, ich verstehe nichts von Rußland, ich verstehe so gut wie nichts von der Kunst« – und Sie stellen sich damit sogleich auf eine ganz außergewöhnliche Höhe. Und das ist besonders vorteilhaft, wenn Sie tatsächlich nichts verstehen.
Doch diese vereinfachte Manier beweist nichts. Im Grunde verdächtigt bei uns ein jeder den anderen der Dummheit, ohne jedes Nachdenken und ohne die Frage auch an sich selbst zu richten: »Oder sollte, in der Tat, nicht gerade ich dumm sein?« Also ein alle befriedigender Zustand, wie man meinen sollte, und doch, siehe da, ist niemand mit ihm zufrieden, sondern alle ärgern sich. Aber Nachdenken in unserer Zeit ist ja auch fast unmöglich: kostet zuviel. Man kauft lieber fertige Ideen. Die werden überall verkauft, sogar unentgeltlich; doch gerade unentgeltlich kommen sie noch teurer zu stehen, und das beginnt man schon zu ahnen. Das Ergebnis ist also: überhaupt kein Gewinn sondern die Unordnung herrscht nach wie vor.
Freilich, wir sind ein ebensolches China, bloß ohne seine Ordnung. Wir fangen kaum erst mit dem an, was in China schon beendet wird. Zweifellos werden wir einmal zu demselben Ende kommen, aber wann? Um tausend Bände »Zeremonien« anzunehmen, zwecks endgültiger Erwerbung des Rechts, über nichts mehr nachdenken zu müssen, – dazu müssen wir noch mindestens ein Jahrtausend des Nachdenkens durchleben. Und was sehen wir? – niemand will den Ablauf der Frist beschleunigen, denn niemand will nachdenken.
Hinwiederum: wenn niemand nachdenken will, so muß doch, sollte man meinen, der russische Schriftsteller es um so leichter haben. Ja, das ist allerdings der Fall; und wehe dem Schriftsteller und dem Herausgeber, der in unserer Zeit nachdenkt! Noch schlimmer erginge es dem, der selber lernen und begreifen wollte; doch am schlimmsten ist der daran, der das aufrichtig eingesteht; und wenn er dann gar erklärt, daß er manches schon ein wenig begriffen habe und seinen Gedanken nun aussprechen wolle, so wird er im Handumdrehen von allen verlassen. Ihm bleibt dann nichts anderes übrig, als sich irgendein passendes Menschlein herauszusuchen oder ein solches womöglich zu mieten und sich nur mit diesem Menschen zu unterhalten; vielleicht nur für ihn allein die Zeitschrift herauszugeben.
Eine höchst widerwärtige Lage, denn das ist doch ebensogut wie mit sich selbst sprechen und die Zeitschrift nur zum eigenen Vergnügen herausgeben. Ich vermute stark, daß der »Bürger« noch lange mit sich allein zum eigenen Vergnügen wird sprechen müssen. Und da bedenke man meinetwegen nur dies Eine, daß nach der medizinischen Wissenschaft Gespräche mit sich selbst Anlage zum Irrsinn bedeuten. Der »Bürger« muß aber doch unbedingt mit Bürgern sprechen und eben darin besteht sein ganzes Unglück!
Nun wohl, einem solchen Unternehmen habe ich mich jetzt angeschlossen. Meine Lage ist eine im höchsten Maße unbestimmte. Ich werde also mit mir selbst sprechen und nur zu meinem Vergnügen, – in der Form dieses »Tagebuchs«, gleichviel was dabei herauskommt. Wovon ich sprechen werde? Von allem, was mir auffällt oder was mich zum Nachdenken zwingt. Sollte ich aber einen Leser finden und – Gott behüte! – gar einen Opponenten, so weiß ich doch, daß man eine Unterhaltung zu führen verstehen und stets wissen muß, mit wem man und wie man spricht. Das zu erlernen werde ich mir Mühe geben, denn bei uns ist das ja am
Weitere Kostenlose Bücher