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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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historischer Typ. Indem sie sich vom Volke absonderten, verloren sie natürlicherweise auch Gott. Die Unruhigen unter ihnen wurden Atheisten; die Schlaffen und Ruhigen wurden Indifferente. Für das russische Volk empfanden sie einzig und allein Verachtung, bildeten sich aber gleichzeitig ein und glaubten, daß sie es liebten und ihm nur das Beste wünschten. Aber sie liebten es negativ, nämlich indem sie sich statt seiner, wie es wirklich ist, irgendein Idealvolk dachten, das nach ihren Vorstellungen das russische Volk sein sollte. Dieses Idealvolk nahm damals für manche führende Vertreter dieser Mehrheit unwillkürlich die Gestalt des Pariser Pöbels vom Jahre 93 an. Damals war dieser das bezauberndste Ideal eines Volkes. Natürlich mußte Herzen Sozialist werden, und zwar gerade als russischer Junker, d. h. soviel wie ohne jede Not und ohne Ziel, eben nur und einzig aus dem »logischen Fluß der Ideen« und aus der Herzensleere in der Heimat. Er sagte sich von den Grundlagen der bisherigen Gesellschaft los und war dabei, ich glaube, ein guter Vater und Gatte. Er verneinte das Eigentum, doch vorläufig wußte er sein Vermögen sicherzustellen und empfand im Auslande mit Vergnügen seine materielle Unabhängigkeit. Er stiftete Revolutionen an, spornte andere dazu an, und gleichzeitig liebte er Komfort und Ruhe im eigenen Heim. Er war ein Künstler, ein Denker, ein glänzender Schriftsteller, ein außergewöhnlich belesener Mensch, geistreich, schlagfertig, ein bewundernswerter Unterhalter und Gesellschafter (er sprach sogar noch besser, als er schrieb) und ein prachtvoller Reflekteur. Die Reflexion – ich meine damit die Fähigkeit, aus dem eigenen tiefsten Empfinden ein Objekt zu machen, es vor sich hinzustellen, sich anbetend davor zu verbeugen und sich gleich darauf über dasselbe meinetwegen auch lustig zu machen – war in ihm bis zum höchsten Grade entwickelt. Zweifellos war er ein außergewöhnlicher Mensch; aber was immer er war – ob er da seine Aufzeichnungen schrieb oder mit Proudhon eine Zeitschrift herausgab, oder in Paris auf die Barrikaden ging (was er in seinen Aufzeichnungen so launig geschildert hat); ob er litt oder sich freute oder zweifelte, ob er 1863 den Polen den Gefallen tat und jenen Aufruf an die russischen Revolutionäre schrieb, obschon er gleichzeitig den Polen nichts glaubte und sogar wußte, daß sie ihn betrogen, und wußte, daß er mit seinem Aufruf Hunderte dieser unglücklichen jungen Menschen ins Verderben brachte; ob er das alles später in einem seiner letzten Artikel mit unerhörter Naivität selbst eingestand, ohne auch nur zu argwöhnen, in welch ein Licht er sich mit einem solchen Geständnis selbst stellte – immer und überall und in seinem ganzen Leben war und blieb er vor allen Dingen gentilhomme russe et citoyen du monde , schlechthin ein Produkt der früheren Leibeigenschaft, die er haßte und zu der er doch gehörte, nicht nur durch seinen Vater, den Herrn aus der Leibeigenschaftszeit; sondern eben durch die Entzweiung mit dem Heimatboden und dessen Idealen. Bjelinski dagegen, oh, Bjelinski war keineswegs gentilhomme , oh nein. (Er stammte von Gott weiß wem ab. Sein Vater war, wenn ich nicht irre, Militärarzt. )
    Bjelinski war eine un reflektierende Natur par excellence , war gerade eine schrankenlos ekstatische Natur, war und blieb das sein ganzes Leben lang. Meine erste Erzählung »Arme Leute« entzückte ihn (später, fast ein Jahr darauf, gingen wir auseinander – aus verschiedenen Gründen, übrigens aus sehr unwichtigen, in jeder Hinsicht). Damals aber, in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft, als er sich gleich mit ganzem Herzen an mich schloß, beeilte er sich sofort, und zwar mit der treuherzigsten Hast, mich zu seinem Glauben zu bekehren. Ich übertreibe seinen glühenden Drang zu mir, wenigstens in den ersten Monaten unserer Bekanntschaft, nicht im geringsten. Ich lernte ihn als leidenschaftlichen Sozialisten kennen und er begann mit mir sogleich vom Atheismus zu sprechen. Darin sehe ich viel – Bezeichnendes, – nämlich seinen erstaunlichen Spürsinn und seine ungewöhnliche Fähigkeit, sich aufs tiefste von einer Idee durchdringen zu lassen. Die Internationale hat ja auch einen ihrer Aufrufe – vor etwa zwei Jahren – unmittelbar mit der bezeichnenden Erklärung begonnen: »Wir sind vor allem eine atheistisch« Gesellschaft,« d. h. sie begann sogleich mit dem Kern der Sache, mit dem Wesentlichen; damit begann damals auch Bjelinski. Er,

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