Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
zweiundzwanzigjährigen Neuling empfing, sondern dieser Ernst entsprang sozusagen seiner Achtung vor jenen Gefühlen, die er so schnell wie möglich in mich ergießen wollte, vor jenen schweren Worten, die mir zu sagen er sich selbst hetzte. Er begann flammend zu sprechen, sah mich mit glühenden Augen an: »Ja, begreifen Sie denn überhaupt selbst,« wiederholte er mehrere Male, nach seiner Gewohnheit stoßweise schreiend, »was Sie da geschrieben haben!« Er schrie immer so, wenn er mit starkem Gefühl sprach. »Sie haben nur mit unmittelbarem Instinkt, nur als Künstler das schreiben können, aber haben Sie das alles auch mit dem Verstande erfaßt, diese ganze furchtbare Wahrheit, auf die Sie uns hinweisen? Es ist nicht möglich, daß Sie mit Ihren zwanzig Jahren das schon begriffen hätten. Ja dieser unglückliche Beamte, den Sie da gezeichnet haben, – der ist doch durch das ewige Dienen schon dahin gekommen –, hat sich ja selber schon dahin gebracht, daß er sich vor lauter Unterwerfung nicht einmal mehr für unglücklich zu halten wagt und auch die geringste Klage fast schon für Freidenkerei ansieht, ja, der sich sogar das Recht, sich unglücklich zu fühlen, nicht einmal mehr zuzusprechen wagt, und als ihm ein guter Mensch, sein General, jene 100 Rubel gibt – da ist er zermalmt, vernichtet vor Verwunderung, daß einen solchen Menschen wie er ›Ihre Exzellenz‹ haben bemitleiden können, nicht ›Seine Exzellenz‹, sondern ›Ihre Exzellenz‹, wie er sich bei Ihnen ausdrückt! Und dieser abgerissene Knopf, dieser Augenblick, wo er dem General die Hand küßt, – ja da ist doch nicht mehr Mitleid mit diesem Unglücklichen, sondern Grauen, Grauen! Gerade in dieser seiner Dankbarkeit liegt das Grauen! Das ist eine Tragödie! Sie haben hier das Wesen der Sache, den Kern selbst berührt, das Allerwichtigste mit einem Blick gezeigt. Wir Publizisten und Kritiker, wir deuteln bloß, wir bemühen uns, mit Worten das klar zu machen, Sie aber, der Künstler, Sie stellen mit einem einzigen Zug sofort bildlich greifbar das Wesen selbst der Sache hin, daß man es mit der Hand befühlen kann, daß auch einem Leser, der überhaupt nicht zu denken gewohnt ist, alles sofort verständlich ist! Das ist das Geheimnis des Künstlertums, das ist die Wahrheit in der Kunst! Da steht der Künstler im Dienst der Wahrhaftigkeit! Ihnen ist die Wahrheit offenbart und kund, als einem Künstler, Sie haben das als eine Gabe mitbekommen, schätzen Sie nun Ihre Gabe, bleiben Sie treu, und Sie werden ein großer Künstler sein!«
Alles das sagte er damals zu mir. Alles das sagte er später über mich auch vielen anderen, die heute noch leben und es bezeugen können. Ich verließ ihn wie in einem Rausch. Ich blieb an der Ecke seines Hauses stehen, sah den Himmel über mir, sah den hellen Tag, sah die vorübergehenden Menschen an und fühlte voll und ganz, empfand mit meinem ganzen Wesen, daß in meinem Leben ein feierlicher Augenblick eingetreten war, eine Scheidung für immer, daß etwas ganz Neues begann, jedoch etwas, das ich auch in meinen leidenschaftlichsten Träumen nicht gedacht hatte. (Und ich war damals ein schrecklicher Träumer.) »Sollte es wahr sein, bin ich denn wirklich so groß?« dachte ich schamhaft in einer Art schüchterner Entzückung. Oh, lachen Sie nicht, nachher habe ich niemals mehr gedacht, daß ich groß sei, doch damals – könnte man denn das so ertragen! »Oh, ich will dieses Lobes würdig werden! Und was für Menschen das sind, was für Menschen! Ja, das sind Menschen! Ich werde mir dieses Lob verdienen, ich werde mir Mühe geben, auch ein so wunderbarer Mensch zu werden wie sie, ich werde ›treu bleiben‹! Oh, wie bin ich noch leichtsinnig, und wenn Bjelinski nur erführe, was für nichtsnutzige, schändliche Dinge in mir sind! Und dabei reden die Leute immer davon, daß diese Literaten stolz seien, eigenliebig und ehrgeizig, übrigens, es gibt ja überhaupt nur diese Menschen in Rußland, nur sie allein zählen. – Sie stehen zwar allein, doch nur bei ihnen ist Wahrhaftigkeit, diese aber und das Gute und Wahre siegen und triumphieren immer über das Laster und das Böse, also werden wir siegen! – Oh, zu ihnen, mit ihnen!«
Alles das dachte ich damals, ich erinnere mich jenes Augenblicks noch mit der größten Klarheit. Und ich habe ihn später niemals vergessen können. Es war das der berauschendste Augenblick meines ganzen Lebens. Wenn er mir in der sibirischen Katorga einfiel, richtete er
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