Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
mich geistig wieder auf. Noch jetzt denke ich jedesmal mit Entzücken daran zurück. Und nun kürzlich, nachdem dreißig Jahre darüber vergangen sind, hat sich mir dieser ganze Augenblick gleichsam wieder vergegenwärtigt, als ich am Bette des kranken Njekrassoff saß: es war mir, als erlebte ich alles das von neuem. Ich erinnerte ihn nicht ausführlich an das Gewesene, ich erwähnte nur, daß wir einmal etwas gemeinsam erlebt hatten, und da sah ich, wie er sich dessen auch ohne meine Erwähnung erinnerte. Eigentlich wußte ich das schon. Als ich aus der Katorga zurückgekehrt war, hatte er auf eines seiner Gedichte hingewiesen, in einem Bande: »Das habe ich damals auf Sie gedichtet.« Und doch haben wir das ganze Leben getrennt verbracht. Auf seinem Schmerzenslager gedenkt er jetzt in seinen ›letzten Liedern‹ der schon toten Freunde:
»Unvollendet blieben ihre Lieder.
Starben sie doch durch Verrat
in der Blüte der Jahre.
Bosheit zerbrach sie.
Vorwurfsvoll sehen die Bilder der Toten
von stummen Wänden mich an.«
Ein schweres Wort ist hier dieses »vorwurfsvoll«. Sind wir denn »treu« geblieben, sind wir es geblieben? Möge das ein jeder nach eigenem Wissen und Gewissen selbst entscheiden ...
Literaturkritik
DOSTOJEWSKI von Otto Julius Bierbaum
Die Größe Dostojewskis berührte mich zum erstenmale in sehr jungen, unreifen Jahren; ich hatte noch drei Klassen des Gymnasiums vor mir, bis zu der sonderbaren Reifeprüfung, die in Deutschland die Pforten der Universität öffnet. Ich las damals so viel, daß ich mich jetzt mit einigem Rechte vom Lesen dispensieren darf. Und ich las, wenn auch nicht mit vollem Verständnis, so doch mit gutem Instinkte: fast nur Bücher, die mir eine Welt auftaten, in der Ziele für mich leuchteten, und nur Bücher von persönlich künstlerischem Ausdruck. Trotzdem ist vieles davon für mich versunken und kaum noch in Erinnerung. Aber Dostojewski ist mir geblieben, und je mehr ich davon abkam, modernen Künstlern Größe zuzuerkennen (was ich nach Jugendart schnellfertig gerne tat, wenn mich ihre Kunst sympathisch berührte und mein Lebensgefühl steigerte), um so mehr fühlte ich: dieser ist wirklich groß, obwohl er mir nicht eigentlich sympathisch ist und mich öfter bedrückt, als erhebt. Ich weiß jetzt: er ist mehr als ein Gipfel, er ist ein Gebirge. Und alle modernen Gipfel, einen einzigen ausgenommen, ragen kaum zur halben Höhe seines Mittelzugs: der Eine aber, der seine Spitze überragt, Nietzsche , wirkt neben seinem ungeheuren Massiv aus gewachsenem Fels fast beängstigend als Kunstwerk: wie etwas Konstruiertes neben etwas Elementarem.
Dieses Bild (es ist nur ein Bild und will nicht als mehr genommen sein) spricht keine Wertvergleichung aus, sondern den Eindruck, den ich vom Nebeneinander der beiden einzigen wirklichen Größen habe, die in der modernen Literatur seit Goethe und Byron erschienen sind. Vielleicht ist Nietzsche ein sublimes Ende und Dostojewski ein riesiger Anfang; jener das Ende der westlichen: europäischen, auf der Antike beruhenden Kultur, dieser der Anfang der östlichen: russischen, die von Byzanz stammt. Das Künstliche in der Erscheinung Nietzsches läßt dieses bange, ja tragische Gefühl aufkommen, und die beklemmende Wucht, mit der uns der slawische Byzantiner Dostojewski entgegentritt als Fürsprech einer ungeheueren, uns trüb chaotisch erscheinenden Masse von urchristlichen Barbaren, verdichtet diese Empfindung zu einer nebligen Beängstigung. Aber das ist eine Frage der Kultur- und Volkskräfte, deren Ausdruck die beiden sind. Nietzsche-Zarathustra kann auch wirklich das sein, als was er sich empfand: Morgenröte. Und dann hätte Dostojewskis Lux ex oriente für uns nur die Bedeutung eines fernen Schauspiels: der letzten Abendhelle von Byzanz über slawischen Nebeln. Jeder gute Europäer (im Sinne Nietzsches) wird dies aufs innigste wünschen und hoffen. Unsere Liebe kann unmöglich bei Dostojewski sein, dessen Ideale mit den unseren nichts zu tun haben. Aber wir können die selbstsichere Kraft unserer aus Hellas und Rom stammenden Kulturtriebe nicht besser beweisen, als indem wir sie ruhig dem Oststurm aussetzen und zeigen, daß sie ihm gewachsen sind; so sehr, daß wir die prachtvoll entfesselten Elementarkräfte des russischen Genies als Schauspiel mit unverhohlener Bewunderung genießen können.
Ich halte daher die Herausgabe der sämtlichen (nicht nur dichterischen) Werke Dostojewskis in guten Verdeutschungen, die die
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