Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Freund? Was habe ich Ihnen Gutes getan? Ich bin Ihnen nur von ganzem Herzen zugetan, ich liebe Sie aufrichtig und von ganzem Herzen, doch das ist auch alles, was ich tun kann. So ist es nun einmal mein bitteres Geschick! Zu lieben verstehe ich – aber Gutes tun,Ihre Wohltaten durch meine Taten erwidern, das kann ich nicht. Also halten Sie mich nicht mehr zurück, überlegen Sie sich meinen Plan nochmals gründlich und sagen Sie mir dann Ihre aufrichtige Meinung.
In Erwartung derselben verbleibe ich
Ihre
W. D.
1. Juli.
Unsinn, Warinka, das ist ja alles nichts als Unsinn, reiner Unsinn! Wollte man Sie so sich selbst überlassen, was würden Sie sich da nicht alles ins Köpfchen setzen! Bald bilden Sie sich dieses ein, bald jenes! Ich sehe doch, daß das nichts als Unsinn ist. Was fehlt Ihnen denn bei uns, so sagen Sie doch bloß? Wir lieben Sie und Sie lieben uns, wir sind alle zufrieden und glücklich, – was will man denn noch mehr? Was aber wollen Sie wohl unter fremden Menschen anfangen? Sie wissen noch nicht, was das heißt: fremde Menschen!… Nein, da müssen Sie mich fragen, denn ich – ich kenne den fremden Menschen und kann Ihnen sagen, wie er ist. Ich kenne ihn, Kind, kenne ihn nur zu gut. Ich habe sein Brot gegessen. Bös ist er, Warinka, sehr böse, so böse, daß das kleine Herz, das man hat, nicht mehr standhalten kann, so versteht er es, einen mit Vorwürfen und Zurechtweisungen und unzufriedenen Blicken zu martern. – Bei uns haben Sie es wenigstens warm und gut, wie in einem Nestchen haben Sie sich hier eingelebt. Wie können Sie uns nun mit einem Male so etwas antun wollen? Was werde ich denn ohne Sie anfangen? Sie sollten mirnicht unentbehrlich sein? Nicht nützlich? Wieso denn nicht nützlich? Nein, Kind, denken Sie mal selbst etwas nach und dann urteilen Sie, inwiefern Sie mir nicht nützlich sein sollten! Sie sind mir sehr, sogar sehr nützlich, Warinka. Sie haben, wissen Sie, solch einen wohltuenden Einfluß auf mich … Da denke ich jetzt zum Beispiel an Sie und bin ohne weiteres froh gestimmt … Ich schreibe Ihnen hin und wieder einen Brief, in dem ich alle meine Gefühle ausdrücke, und erhalte darauf eine ausführliche Antwort von Ihnen. Kleiderchen und ein Hütchen habe ich für Sie gekauft, manchmal haben Sie auch einen kleinen Auftrag für mich, na, und dann besorge ich Ihnen eben das Nötige … Nein, wie sollten Sie denn nicht nützlich sein? Und was soll ich wohl ohne Sie anfangen in meinen Jahren, wozu würde ich allein denn noch taugen? Sie haben vielleicht noch nicht darüber nachgedacht, Warinka, aber denken Sie mal wirklich darüber nach und fragen Sie sich, zu was ich denn noch taugen könnte ohne Sie. Ich habe mich an Sie gewöhnt, Warinka. Und was käme denn dabei heraus, was wäre das Ende vom Liede? – Ich würde in die Newa gehen und damit wäre die Geschichte erledigt. Nein, wirklich, Warinka, was bliebe mir denn ohne Sie noch zu tun übrig?!
Ach, Herzchen, Warinka! Da sieht man's, Sie wollen wohl, daß mich ein Lastwagen nach dem Wolkoff-Friedhof führt, daß irgendeine alte Herumtreiberin meinem Sarge folgt und daß man mich dort in der Gruft mit Erde zuschüttet und dann fortgeht und mich allein zurückläßt. Das ist sündhaft von Ihnen, sündhaft,mein Kind! Wirklich sündhaft, bei Gott, sündhaft!
Ich sende Ihnen Ihr Büchelchen zurück, meine kleine Freundin, und wenn Sie, Warinka, meine Meinung über dasselbe wissen wollen, so kann ich Ihnen nur sagen, daß ich mein Lebtag noch kein einziges so gutes Buch zu lesen bekommen habe. Ich frage mich jetzt selbst, mein Kind, wie ich denn bisher so habe leben können, ein wahrer Tölpel, Gott verzeihe mir! Was habe ich denn getan, mein Leben lang? Aus welchem Walde komme ich eigentlich? Ich weiß ja doch nichts, mein Kind, rein gar nichts! Ich gestehe es Ihnen ganz offen, Warinka: ich bin kein gelehrter Mensch. Ich habe bisher nur wenig gelesen, sehr wenig, fast nichts. »Das Bild des Menschen« – ein sehr kluges Buch, das habe ich gelesen, dann noch ein anderes: »Vom Knaben, der mit Glöckchen verschiedene Stücke spielt«, und dann »Die Kraniche des Ibykus«. Das ist alles, weiter habe ich nichts gelesen. Jetzt aber habe ich hier, in Ihrem Büchlein, den »Stationsaufseher« gelesen, und da kann ich Ihnen nur sagen, mein Kind, es kommt doch vor, daß man so lebt und nicht weiß, daß da neben einem ein Buch liegt, in dem ein ganzes Leben dargestellt ist, wie an den Fingern hergezählt, und noch
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