Werke
Unglück‹, erzählte der Lehrer weiter, ›meinen jüngsten Bruder, welcher bei dem Berufe unseres Vaters geblieben ist, auf ein paar Wochen zum Besuch hieher führen. Er versteht ein wenig mehr, als was zum bloßen Handwerk gehört, und pflegt auch in seinen Mußestunden allerlei Blättchen mit Wasserfarben anzufertigen. Ein paar Zeichnungen des Knaben, die ich ihm zeigte, erregten seine Teilnahme, und so dauerte es nicht bis in den dritten Tag, daß die beiden die dicksten Freunde waren. Jeden Abend haben sie hier am Tisch gesessen zu zeichnen und zu pinseln, und da mein Bruder dem Jungen einen Teil seiner Farben zum Geschenk machte, so setzte dieser das Geschäft nach dessen Abreise fort. Seitdem war nichts mit ihm anzufangen, und endlich erklärte er rundheraus, er wolle Maler werden. Sie können sich den Lärm denken;der Vater, der außer ihm nur eine verheiratete Tochter hat, hatte sich immer der starken Gliedmaßen seines Sohnes gerühmt. Nun wurde er konfirmiert und sollte mit an die Feldarbeit; aber er wollte nicht. Manches Mal hat der Alte ihn mit der Peitsche drüben aus dem Walde geholt, wo er irgendeinen schönen Baum zu Papier brachte, und ihm seinen Zeichenkram vor der Nase entzweigerissen. Aber es half alles nichts; ich redete vergebens zum Frieden; der Junge mit seinen Knochen sollte Bauer werden, der Alte wollte nicht für Fremde so viele Acker Heide urbar gemacht haben. Endlich, vorgestern nachmittag beim Heufahren, wurde dem Faß der Boden ausgestoßen. Der arme Bursche vergaß unseres Herrgotts Gebote und sprang in die Trinkgrube; zum Glück waren seines Vaters Leute in der Nähe, die ihn noch eben zu rechter Zeit herausholten. Mich selbst und meine Zeichenstunden‹, so schloß der Schullehrer seinen Bericht, ›wird diese Geschichte auf lange um allen Kredit gebracht haben.‹
Er stand auf und holte sich eine neue Pfeife aus der Ecke; ich blieb nachdenklich sitzen. – Was hatte denn mich an jenes Wässerchen hinausgelockt? Die solide Desperation des armen Jungen versetzte mich in die tiefste Beschämung. Soviel stand fest, ich mußte ihn kennenlernen; vielleicht daß ich ihm helfen konnte.
›Schulmeister‹, sagte ich endlich, ›ich bin krank gewesen, es würde mir gut tun, ein paar Wochen auf dem Lande zu leben. Könntet Ihr mir wohl Quartier geben?‹
Daß ich ein Maler sei und allerlei für meine Mappen einzusammeln gedachte, verschwieg ich wohlweislich noch; und so war denn auch bald, ›wenn ich nur fürlieb nehmen wollte‹, ein Kämmerchen bei den kinderlosen Leuten für mich bereit. Freilich ließ ich mit einigen Kleidungsstücken auch mein Aquarellkästchen aus der Stadt kommen; aber das blieb vorläufig in dem Reisesack verborgen; auf meinen ersten Streifereien behalf ich mich mit dem Bleistift, womit ich denn noch am selben Nachmittage die Trinkgrube mit dem rettenden Lederschuh zum dankbaren Gedächtnis in mein Taschenbuch eintrug. Am Abend wagte ich mich unter die Dorfleute und endlich auch zu dem alten Kunstfeinde gegenüber, der rauchend in der großen Torfahrt seines Hauses stand. Ich begann ein Gespräch über den Stand der Ernte, ging dann auf die neue Steuer über, schimpfte etwas weniges auf die Regierung, und so wurden wir bald bekannt. Es ist ein alter knorriger Kerl; du sollst ihn nachher in meiner Mappe sehen, worin er ohne Wissen und Willen hat Platz nehmen müssen. Von dem Sohne sah ich nichts und hütete mich auch wohl, seiner zu erwähnen. – Am Abend darauf, nachdem ich den Tag im nahen Walde in Gesellschaft gehöriger Butterschnitte der Frau Schulmeisterin verbracht hatte, war ich wieder zur Stelle, und ebenso am dritten und am vierten Abend; der Alte schien diesmal in einer nachdenklichen Stimmung; er saß ohne seine Pfeife auf dem Stein vor seinem Hause und antwortete kaum auf meine noch so wohlüberlegten Gesprächseinleitungen.
›Wer weiß‹, dachte ich endlich; ›vielleicht ist’s just der rechte Augenblick.‹ So fragte ich ihn denn gradezu nach seinem Sohn. ›Ist er nicht zu Hause?‹ fügte ich hinzu. ›Ich habe ja noch nichts von ihm gesehen.‹
Da brach’s hervor; mit der geballten Faust drohte er nach dem Schulhause hinüber: ›Der Haselant mit seinen hergelaufenen Faxen!‹ rief er. Und nun klagte er mir seine Not, während zwischendurch immer Flüche auf den armen Schulmeister fielen. ›Der hätte die Prügel haben sollen, die der Junge gekriegt hat; denn bei dem hat’s nichts geholfen.‹
›Was macht Euer Sohn denn jetzt?‹
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