Werke
toller Lebensdrang in mir, und dazu dies Gemengsel von Gliedmaßen, vor dem die Mädel sich graueln wie vor einer Kreuzspinne; Verehrtester, das ist keine Bagatelle!«
»Aber«, unterbrach ich ihn, »wo war denn der Schauplatz dieses Dramas?«
Mein kleiner Freund legte beide Hände in die Seite und sah mich mit dem Ausdruck einer tragikomischen Verzweiflung an. »Ich war über Feld gerannt«, sagte er, »immer grad zu, durch Korn und Dorn, über Wälle und Gräben; endlich saß ich am Rande einer Trinkgrube. Wie ich später erfuhr, war einige Stunden vorher ein junger Bursche daraus aufgefischt, der in dem schwarzen Wässerchen dort unten die Not des Lebens und nebenbei sich selber zu ertränken versucht hatte. Der Mond schien hell; ich konnte alles um mich her betrachten. Das Gras an meiner Seite war noch mit schwarzem Schlamm überzogen; mitten darin stand ein grober Lederschuh, naß und besudelt. Ich glaube noch jetzt, daß dieser Schuh mich damals über Wasser gehalten hat; denn auch ich war schon dem bösen Zauber verfallen, der in solch einsamen Gewässern spuken geht. Es war nicht düster dort; ein Stern nach dem andern drang aus der Tiefe, und immer mehr, je länger ich hinstarrte. Mich überfiel jenes nichtswürdige Mitleid mit dem lieben Ich; und schon dachte ich: ›Versuch es einmal mit der Welt dort unten; Verlust ist keinesfalls dabei‹ – ; da traf mein Blick auf jenen groben Schuh, und, gesegnet sei er, er fing an, mir Rätsel aufzugeben. Erstens, es gehörte doch ein zweiter noch dazu; wo mochte sein Kamerade sein? Und dann, er konnte doch nicht allein hieher gegangen sein; wo wanderte sein Herr jetzt mit dem zweiten Schuh? – Unter mir in den Binsen saß freilich ein großer Frosch mit seiner ganzen Gesellschaft und suchte mir die Geschichte vorzusingen. Ich merkte wohl, daß sie von allem Bescheid wußten. Aber du weißt, ich bin immer ein schlechter Linguiste gewesen; ich verstand die Kerle nicht. Doch wie nun alles in der Welt zu Ende geht, so ging auch diese Nacht dahin; der Morgenwind fuhr über die Felder und weckte alle Kreaturen; und als die ersten Lerchen aufstiegen, erschien auch die Sonne am Horizont und beleuchtete mich in all meiner Unsauberkeit; ich konnte es nun deutlich an meinen Kleidern nachbuchstabieren, daß ich nicht bloß durch Hecken und Dornen, sondern auch durch Sümpfe und Gräben hieher gelangt sein mußte. Es schauderte mich ein wenig, ich weiß nicht mehr, ob vor Kälte oder Scham, und ich machte mich daran, die Spuren meiner Torheit nach Möglichkeit zuvertilgen. Dann stieg ich auf den Wall des Grundstücks, um eine vernünftige Landstraße zu erspähen; und nachdem ich nicht nur diese, sondern zu Ende derselben auch ein Dorf unter grünen Bäumen entdeckt hatte, marschierte ich bald zwischen wohlnumerierten Chausseesteinen, wie ein verständiger Mann, der die Kühle der ersten Frühe zu seiner Wanderung benutzt.
In dem Dorfe, das ich dann erreichte, war eben das Tagesleben angebrochen; ich hörte in den Gehöften die Leute zu ihren Pferden reden, die zur Heufuhr an die Wagen gespannt wurden. Mitten in der Dorfstraße, in dem Gärtchen vor seinem Hause, stand ein ältlicher Mann und rauchte behaglich seine Morgenpfeife, in dem ich sogleich den Schulmeister des Dorfes erkannte. Auf meinen ›Guten Morgen‹ erhielt ich freundliche Erwiderung und auf meine Frage, wo ich hier ein Frühstück bekommen könne, die Einladung, ins Haus zu treten und mit ihm und seiner Frau den Morgenkaffee einzunehmen. Das tat ich denn, und da die Frau nicht weniger zutraulich war, so saßen wir drei bald im schönsten Plaudern nebeneinander.
Das erste, was ich erfuhr, war die Geschichte jenes Schuhes, bei der mein gütiger Wirt selbst in gewisser Weise beteiligt war. – Als eines Stubenmalers Sohn hielt er die väterliche Kunst noch so weit in Ehren, daß er seinen Schülern wöchentlich eine Stunde Zeichenunterricht erteilte. Er verdiente damit, wie er meinte, freilich weder bei Eltern noch Kindern besonderen Dank; nur der Sohn eines wohlhabenden Bauern, welcher dem Schulhause gegenüber wohnte, hatte so viel Geschick und Eifer gezeigt, daß er bald nicht nur allerlei Dinge, die der Lehrer ihm vorgelegt, nach der Natur gezeichnet, sondern auch zu Hause und auf eigene Hand alles abkonterfeit hatte, was ihm grade in den Weg gekommen. – Soweit war alles leidlich gut gegangen, wenn auch der alte Bauer bisweilen über die ›dumme Kritzelei‹ gescholten hatte. ›Da mußte das
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