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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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»Dejeuners« verzehrten, sollte vom Saale aus die Kunst ihre höhere Natur ergötzen.
    »Seht Ihr, Nachbar«, schloß er seine beredte Auseinandersetzung; »das ist es, was in der Bauernwirtschaft hier gefehlt hat!«
    Der Alte nickte ein paarmal, während er wie prüfend mit seiner rauhen Hand das Notenpult betastete. »Süh, süh!« sagte er endlich, ohne aufzublicken, »ward uns’ Sträkelstrakel noch up sin olen Dagen en Staatsmus’kant!«
    Aber Herr Zippel wurde von einem Arbeiter in den Garten gerufen, und der Alte wanderte langsam hinterher, um zu sehen, was es denn dorten wieder Neues gäbe.
    Statt ihrer traten aus der Tür der Gaststube zwei andere Gestalten in den dämmerigen Raum des Saales. Kätti, sie war die eine, obgleich jetzt volle siebzehn Jahre alt, glich fast noch einem halberwachsenen Kinde; nur ihre Wangen waren jetzt sanft gerundet, und das bleiche Braun derselben war von einem roten Hauch durchbrochen. Ihr schwarzes Haar aber trug sie noch immer in zwei langen Zöpfen; sie war eigensinnig, sie wollte es nicht anders, und auch die rote Schleife an der linken Seite durfte niemals fehlen.
    Mit ihr, Geige und Bogen in der Hand, war der kleine Musikant hereingetreten. Er pflegte sonst nicht so früh am Nachmittage, sondern erst zu dem stets für ihn bereiten Abendbrot sich einzustellen; aber heute galt es, die Mozartsonate zu dem Einweihungsfeste der Veranda einzuüben. Nun hatte er auf den Ruf seiner jungen Meisterin mitten im Tagewerke Nadel und Bügeleisen fortgeworfen.
    Es war etwas Stilles in der Erscheinung des Mädchens, wie sie jetzt ans Klavier schritt und die Noten auflegte, während der kleine Mann schweigend seinen Platz erkletterte und, den Bogen im Anstrich, erwartend nach ihr hinblickte.
    Plötzlich »Allegro, Sträkelstrakel!« rief eine junge Stimme, und dahin brausten die Töne der ungeschulten, aber tapferen Musikanten. Mitunter freilich, wenn es gar zu sorglos überhin ging, gebot dieselbe auch wohl »Halt« und wieder »Halt«; und der Geigenbogen stockte endlich, nachdem er noch eine Weile feurig in die Figuren der nächsten Takte hinausgeschossen war.
    Der kleine Geiger hörte sich nicht gern bei seinem Übernamen nennen; wenn aber bei solcher Gelegenheit Kätti ihren Finger hob und mit einer eigentümlich lieblichen Betonung sagte: »Sträkel-Strakel«, dann krümmte er sich vor Wohlbehagen auf seinem lackierten Holzbänkchen, und unermüdlich wurden hierauf die hapernden Takte wiederholt, bis das dunkle Köpfchen nickte und es wiederum mit losen Zügeln weiterging.
    Als sie mit der Sonate fertig waren, hob Kätti sich auf den Fußspitzen und langte über dem Klaviere ihre Gitarre von der Wand. »Nun zur Belohnung!« sagte sie, lächelnd auf ihren Spielgenossen blickend, und dieser, als ob er nun das Höchste leisten müsse, drehte emsig an den Stimmwirbeln, klimperte und strich und drückte fast das Ohr an seine Geige.
    »Sträkel-Strakel!« rief wiederum die junge Stimme; da kletterte er eilig von seinem Thron herab, und bald wanderten die beiden nebeneinander im Saale auf und ab; sie leicht dahinschreitend und mit ihrer lichten Sopranstimme singend, daß es von den leeren Wänden schallte; er mit seinem lahmen Fuße stets nach einer Seite wippend und zu ihrer Gitarre begeistert seine Geige streichend. Was hatten sie nicht alles schon gesungen, den »Jäger aus Kurpfalz« nicht weniger als »Soviel Stern’ am Himmel stehen«. Plötzlich mitten in einem Schelmenliedchen brach sie ab; »Sträkelstrakel!« rief sie, indem sie stehenblieb.
    Er war in seinem Perpendikelgange schon um ein paar Schritte weiter; als er Posto gefaßt hatte, wandte er sich um, und das schlichte staubfarbene Haar von seiner mageren Nase streichend, erwartete er ehrerbietig das Orakel aus ihrem jungen Munde.
    »Peter Jensen!« sagte Kätti feierlich und nannte ihn bei seinem vollen Taufnamen; »was kann Er geigen!«
    »Oh, aber Mamsellchen!«
    »Und ist Er auch noch niemals draußen in der Welt gewesen?«
    »Draußen in der Welt? – Was soll ich da, Mamsell?«
    »Ja«, sagte sie träumerisch und heftete die Augen auf das arme Körperchen des Musikanten, als wolle sie selbst das Wunder nun vollbringen; »wenn Er doch jung und hübsch wäre, Sträkelstrakel!«
    Er nickte nachdenklich, als ob ihm das schon wohl gefallen mochte. »Was dann, Mamsellchen?« frug er schüchtern.
    »Dann – aber das versteht Er nicht, dann wollten wir beide miteinander in die Welt hinaus!«
    Er sagte nichts; er kniff die

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