Werke
schönen Hause; ihr Mann ist ein berühmter Uhrenhändler.«
»In Wien?« Kättis Aufmerksamkeit wurde jetzt doch rege. »Kommen Sie so weit herum?«
– »So weit? Wir kommen allenthalben. Aber Sie singen und spielen ja auch; Sie sollten mit uns kommen; was wollen Sie hier länger auf dem Dorfe sitzen! Ich freilich muß noch morgen von den andern fort; ich muß zu meinem schwedischen Grafen, der erwartet mich!«
»Ein Graf!« wiederholte Kätti voll Bewunderung. »Werden Sie sich mit dem verheiraten?«
»Weshalb denn nicht? Erst reisen wir zusammen auf ein paar Monate nach Baden-Baden.«
Kätti kannte den Ort aus ihren Geographiestunden. »Nicht wahr«, sagte sie, »da, wo die vornehmen Leute hinreisen und ihr Geld verspielen?«
Die andere nickte. »Ich bin schon einmal dort gewesen; das sollten Sie sehen, die schönen Menschen, die großen Feuerwerke, als ob auf einmal alle Sterne vom Himmel herunterfallen; wie in einem Märchen, sagt mein Graf!«
Noch lange gingen Kätti und die Gitarrespielerin Arm in Arm auf den mondhellen Gartensteigen; der hübsche Plaudermund des fahrenden Mädchens wußte immer Neues zu erzählen; vor Kättis Augen stiegen die Zauber der Ferne auf.
Ein Vöglein singt so süße
Vor mir von Ort zu Ort.
Sie wußte nicht, warum die Melodie ihr immer vor den Ohren summte.
Etwa vier Wochen später und etwa zwanzig Meilen weiter südlich ins deutsche Land hinein geschah es, daß eines Vormittages Wulf Fedders, der einstige Primaner, jetzt Doctor juris utriusque, in einer mittelgroßen Stadt aus einem Wochenwagen stieg. Eine Weile sah er die Straße hinauf, wo eben Jahrmarkt war, warf noch einen Blick auf das Schild »Zum blauen Löwen«, unter dem der Wagen hielt, und trat dann ins Haus, um sich zur Weiterreise auf der von hier nach Norden hin beginnenden Eisenbahn zu stärken.
In der Tür zur Gaststube ging ein etwas bleicher, aber stattlich aussehender Herr an ihm vorüber, der sich sein weißes Schnupftuch gegen die eine Wange drückte. Der junge Doktor sah das; aber er achtete nicht weiter darauf, sondern setzte sich an einen Tisch und ließ sich auftragen.
Außer einigen Gästen, welche aus und ein gingen, bemerkte er nur ein Musikantenpaar, einen Geiger und eine Harfenspielerin, welche neben dem Eingang saßen und der Stunde zu harren schienen, wo der leere Raum sich wieder füllen würde. Wulf Fedders hatte freilich wenig Teilnahme für seine Umgebung, er schmeckte vielleicht nicht einmal die Speisen, die dessenungeachtet rasch genug von seinem Teller verschwanden; denn in seinem Kopfe kreuzten sich allerlei Gedanken. Er hatte eben seinen »Doktor« cum laude absolviert, und da der Tod beider Eltern ihn in die Lage gebracht hatte, ein paar Jahre vom eigenen Kapital zu zehren, so stand die akademische Lehrkanzel als längst geplantes Ziel vor seinen Augen. Zunächst freilich nach all der angestrengten Arbeit mußte er sich ein paar Monden Ruhe gönnen; das heißt, was solche junge Büchermenschen Ruhe nennen; denn die Doktorabhandlung, die nur eine Quintessenz enthielt, sollte zu einem epochemachenden Werke ausgearbeitet, allerlei emsig gesammelte Drucke und Exzerpte nun erst gründlich benutzt werden. – Als den Ort seiner Sommerfrische hatte er sich das große wald- und wasserreiche Dorf ersehen, in dessen patriarchalischer Krugwirtschaft es ihm an manchem Sommersonntag seiner Primanerzeit so wohl gewesen war. Er dachte es sich lebhaft, wie in solch ländlicher Ruhe das neue Werk gedeihen und wie er außerdem zu gesundheitsstärkenden Wanderungen die Mußezeit benutzen werde. Und dann! Ja, auch das noch kam hinzu: die Stadt seines Schülerlebens war von dort in ein paar Stunden zu erreichen, und in jener Stadt – er wußte das aus bester Quelle – war für die nächsten Monate eine junge Dame auf Besuch, eine blonde blauäugige Majorstochter, die er im letzten Winter bei einem Professorentee gesehen hatte und die seitdem mit dem epochemachenden Buche sich geschwisterlich in sein Herz teilte. – –
Der Doktor Wulf Fedders hatte es nicht bemerkt, daß während seiner nachdenklichen Mahlzeit zwar nicht zwei blaue, aber doch zwei glänzende schwarze Augen unablässig auf ihn gerichtet waren. Als er jetzt aufblickte, sah er eine junge Gitarrespielerin, welche abgesondert mit ihrem Instrumente in der Ofenecke saß. Er erschrak fast, als ihre Blicke sich begegneten; wie um erst sich zu besinnen, wandte er seine Augen ab; dann blickte er wieder hin, um schärfer zu
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