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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Papier zu bringen, welche er eben auf einem Spaziergange in Gedanken sich zurechtgelegt hatte. Anmutig schwebte ihm bei seiner Arbeit das sonst so griesgrämige Gesicht des alten Rektors vor; er hatte ihm heute bei seiner Verdeutschung des Thukydides so wohlgefällig zugenickt; Wulf Fedders sah schon deutlich dasselbe Nicken bei Rückgabe dieses Aufsatzes. Und die Feder des jungen Primaners arbeitete behaglich weiter.
    Als er aufblickte, stand Kätti ihm gegenüber; es war ihr eigen, plötzlich dazusein, ohne daß man sie hatte kommen hören.
    »Du!« rief er. »Bist du schon lange da?«
    Sie nickte.
    »Was willst du, Kind?« sagte er und betrachtete das braune Köpfchen, das er bisher nur ein paarmal flüchtig hatte vorüberhuschen sehen.
    Kätti zeigte auf das vor ihm liegende Papier und sagte: »Haben Sie noch mehr darauf zu schreiben?«
    Er schüttelte sein blondes Haar aus der Stirn und lachte. »Noch ein paar Sätze; dann ist’s vorläufig genug.«
    »Darf ich so lang hierbleiben?«
    »Weshalb nicht? Setz dich!« sagte er, indem er schon wieder weiterschrieb.
    Sie setzte sich auf den Stuhl am Fenster; aber ihre Augen ruhten unablässig auf dem Antlitze des Schreibenden, als wolle sie erwägen, was hinter den gesenkten Lidern sich verbergen möge. Als er dann die Feder wegwarf, schrak sie fast zusammen. »Fertig!« rief er. »Nun, Kätti? – Du heißt doch Kätti?«
    »Ja, Kätti.«
    »Nun, so komm her und sprich, was du auf dem Herzen hast!«
    Sie war zögernd wieder vor den Tisch getreten. »Wollen Sie auch nicht böse werden?«
    »Das werd ich nicht so leicht; aber ich kann’s dir doch im voraus nicht versprechen.«
    Sie besann sich eine Weile. »Dann mögen Sie auch böse werden«, sagte sie und zeigte nach der Wand; »ich habe alle Nachmittag auf Ihrer Gitarre da gespielt.«
    »Und weshalb erzählst du mir das jetzt? Nur weil es die Wahrheit ist?«
    Sie schüttelte heftig mit dem Kopfe.
    »Nein? Aber weshalb denn?«
    »Ich möcht es lernen«, sagte sie leise; »aber es ist hier keiner, der darin Stunden gibt!«
    »Ja so! – Nun, Fräulein Kätti, was ich davon verstehe, ist zu Diensten!«
    Freudenrot und zitternd folgte das Kind mit seinen dunkeln Augen, wie er jetzt die Bücher fortschob und die Gitarre von der Wand herunterlangte.
     
    Und somit wurde das erste Ringlein fertig als Glied zu einer feinen unsichtbaren Kette.
    Wie von selbst wurden die Stunden herausgefunden, in denen der kleine musikalische Verkehr sich ungestört entfalten konnte; Kätti säumte nicht, zu kommen, und auch Wulf Fedders blickte mitunter über seine Bücher nach der halb offenen Stubentür, ob denn das braune Köpfchen noch nicht durch die Spalte gucke. Wenn sie dann eintrat, hatte er oftmals Mühe, seine bewundernden Augen abzuwenden, damit – so warnte er sich selber – das Kind nicht eitel werde. Er hatte freilich nicht gesehen, wie sie kurz zuvor an ihrem aufgezogenen Schubfache kniete, um ein bestes Krägelchen oder ein anderes Putzstück daraus hervorzukramen; hatte er doch nicht einmal bemerkt, daß erst seit ein paar Tagen eine rote Seidenschleife gleich einem angeflogenen Schmetterling auf ihrem schwarzen Haare saß.
    Übrigens waren Kättis musikalische Fortschritte unverkennbar; was der junge Lehrer an Griffen und Fingersatz ihr beizubringen wußte, war alles rasch erlernt worden. Dagegen kam eines Tages wieder Klage aus der Mädchenschule; als Wulf Fedders nach der Klasse in das Haus trat, zog Herr Zippel ihn in die Stube und rief ihn gegen das ungelehrige Kind zu Hilfe. Und der blonde Primaner, unter dessen Scheitel sich neben anderem auch ein Quintchen Altklugheit versteckte, redete zu Herrn Zippels Entzücken in das arme Ding hinein, daß sie schier verblasen dastand und in den nächsten Tagen brennend fleißig war.
    Ganz anders freilich geschah es, wenn sie oben in der Giebelstube saßen, wo die grünen Zweige des Nußbaums in das offene Fenster nickten und wo von solchen heiklen Dingen nie die Rede war. Zwar hatte bei Wulf Fedders die Gitarre keine weitere Bedeutung als das Vögelsingen, wenn Frühling ist; dennoch hörte es sich anmutig, wenn er mit seinem weichen Bariton aus seinem Liederschatz zum besten gab.
     
    Ein Vöglein singt so süße
    Vor mir von Ort zu Ort!
     
    Wenn er das anhub, saß Kätti gewiß auf ein paar übereinandergepackten Büchern zu seinen Füßen, und wenn er geendet hatte, sprach sie ebenso gewiß: »Noch einmal, bitte!« Und dann sang er es noch einmal. Der Worte dieses

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