Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
Liedes wurde sie sich kaum bewußt, es war ihr nur die Melodie zu der sich dunkel regenden Empfindung, mit der sie in das hübsche Jünglingsantlitz blickte.
    Eine unschuldige Heimlichkeit begleitete dies Beisammensein. Kätti schwieg gegen jedermann, aus unbestimmter Furcht, es könne ihr geraubt werden; den jungen Primaner aber hielt eine sehr bewußte Scheu zurück, seinen Verkehr mit dem eigenartigen Backfischchen der Kritik seiner Kommilitonen auszusetzen. Und da Kätti für jeden Ton das feinste Ohr hatte, so entging es ihr nie, wenn unten durch die Haustür ein Gymnasiastenschritt hereinstürmte. Bevor er noch die unterste Treppenstufe erreicht hatte, war sie jedesmal verschwunden und huschte später aus irgendeinem Bodenwinkel in das Unterhaus hinab.
    Und dennoch einmal! Wulf Fedders hatte eben ihr Lieblingslied gesungen, und Kätti saß vor ihm auf ihren dicken Büchern, die dunkeln Augen wie im Traum auf ihn gerichtet, die eine ihrer schwarzen Flechten um die Hand geschlungen.
     
    Die Blumen in dem Walde,
    Die Blumen auf der Halde,
    Die blühn im Dunkeln fort.
     
    Er hatte kaum geendet, da trat, ohne daß eines von beiden es bemerkte, der »forscheste« aller künftigen Studenten in das Zimmer und warf mit einem derben »’n Morgen!« – es war nicht einmal Morgen – seine rote Mütze neben ihnen auf den Tisch.
    Im Nu war Kätti aufgesprungen und flog an ihm vorüber.
    »Was war denn das für eine schwarze Katze?« rief der Forsche.
    »Es ist die Wirtstochter«, erwiderte Wulf nicht ohne sichtbare Verlegenheit.
    Der andere klopfte ihm vertraulich auf die Schulter. »Ja so! – Du scheinst mit ihr zu schwärmen, alter Freund!«
    »Sie ist ein Kind; sie hatte mir den Tee gebracht.«
    Kätti stand noch hinter der offenen Stubentür und machte mit ihren kleinen Händen ein paar Krallen gegen den groben Eindringling, bevor sie ganz verschwand. Mit ihrem Freunde war sie wohl zufrieden. »Wirtstochter!« Nur »die Wirtstochter«! Das Wort war ihr eben recht; auch er hatte nichts verraten wollen.
    – – Aber das letzte Semester des Schülerlebens ging zu Ende. Als Wulf Fedders, um von seinem Wirte Abschied zu nehmen, in dessen Wohnzimmer trat, kam ihm dieser mit einer Rolle in der Hand entgegen. »Leben Sie wohl, Herr Fedders«, rief er; »es ist ganz recht, daß Sie dem Nest den Rücken kehren! Sehen Sie da!« Und er entrollte eine wirklich prächtige Tapete. »Zehn Mark Kurant per Stück, ich hab sie selbst für feste Rechnung; aber glauben Sie, daß diese knickerige Gesellschaft auch nur zu einem Ofenschirm davon gekauft hat? Wenn Sie wieder diese werte Stadt besuchen sollten, nach Hermann Tobias Zippel brauchen Sie nicht mehr zu fragen.«
    Kätti wurde vergebens gerufen; erst als das Fortrollen des Wagens durch das Haus dröhnte, schlüpfte sie oben aus einem dunkeln Seitenraume des Bodens.
    In der Giebelstube war alles ausgeräumt; nur die Gitarre hing noch an der Wand. »Für Kätti« stand auf dem Zettel, der durch die Saiten geschlungen war. Jetzt wurde leis die Tür geöffnet, und auf den Zehen, als fürchte es auch jetzt noch, überrascht zu werden, schlich das Kind herein. Als sie die Worte auf dem Papierstreifen gelesen hatte, drückte sie ihre Lippen darauf und brach in lautes Schluchzen aus.
     
    Zum Amtsbezirke der Stadt gehörig, aber reichlich eine Meile südwärts, lag ein großes Dorf; im Rücken Buchen- und Tannenwälder, vor sich das breite silberne Band eines Flusses, der ein weites Wiesental durchströmte. Auf einem Vorsprunge oberhalb des Wassers stand der Kirchspielskrug mit seinem alten wetterbraunen Strohdache, den seit Menschengedenken stets der Sohn von dem noch immer rüstigen Vater überkommen hatte. Land- und Gastwirtschaft gingen Hand in Hand: die Gäste fanden neben bäuerlicher Behaglichkeit billige Preise, frische Butter zum selbstgebackenen Brote und goldgelben Rahm zum wohlgekochten und geklärten Kaffee.
    Unterhalb des Gartens, der sich schräg abfallend bis fast an das Flußufer hinabzog, war das Abnahmehaus, wo noch vor kurzem der Vater des letzten bäuerlichen Wirtes wohnte. Zwar hatte auch er, gleich seinen Vorvätern, den Staven mit allen Gerechtigkeiten seinem Sohne abgetreten; aber an Sonn- und Festtagen, wenn die Gäste zu Wasser und zu Lande aus den benachbarten Städten heranzogen, stieg er in seinem besten Staate nach seiner alten Wirtschaft hinauf, um vorne in der kleinen Gaststube den Ausschank zu verwalten und dabei seine Geschichten von Anno damals an den

Weitere Kostenlose Bücher