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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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dünnen Lippen zusammen und sah sie halb anbetend und halb traurig an.
    »Nun?« frug sie endlich.
    Der arme kleine Musikant hatte sie wirklich nicht verstanden, er fand es hier im Dorfe jetzt so schön wie niemals noch zuvor bei seinen jetzt bald vierzig Jahren. »Warum denn in die weite Welt, Mamsellchen?«
    »Warum?« – Aber sie blieb selbst die Antwort schuldig; der Anfang eines Liedes tauchte plötzlich in ihr auf, dessen Worte sie kaum jemals recht gefaßt hatte. Wie tastend griff sie einen Akkord und hob mit halber Stimme an:
     
    Ein Vöglein singt so süße
    Vor mir von Ort zu Ort!
    Oh, meine müden Füße!
    Das Vöglein singt so süße;
    Ich wandre immerfort.
     
    Sträkelstrakel hatte sich selig lauschend gegen die Wand gelehnt, Geige und Bogen müßig in der herabhängenden Hand. »Geht es nicht weiter?« frug er leise, als Kätti nach dieser ersten Strophe schwieg.
    »O doch! Aber ich weiß nur noch das Ende!« Dann griff sie wieder in die Saiten und sang aufs neue:
     
    Wo ist nun hin das Singen?
    Schon sank das Abendrot –
    Die Nacht hat es verstecket,
    Hat alles zugedecket;
    Wem klag ich meine Not?
    Kein Sternlein blinkt im Walde,
    Weiß weder Weg noch Ort;
    Die Blumen an der Halde,
    Die Blumen in dem Walde,
    Die blühn im Dunkeln fort.
     
    Von der offenen Veranda her erscholl ein lautes Händeklatschen: »Bravo, bravissimo!« – Herr Zippel war während der letzten Strophe ein ungesehener Zuhörer gewesen und jetzt im besten Ansatz, seiner Begeisterung Luft zu machen. Aber Kätti hatte wohl diesmal keine Neigung gehabt, den Reden ihres Vaters standzuhalten; als er in den Saal trat, fand er nur noch den kleinen Musikanten, der sich mit seinem blaukarierten Taschentuch die Augen wischte.
     
    Das Einweihungsfest und noch verschiedene andere Feste, Wald- und Wasserfahrten, waren unter lebhafter Beteiligung vorübergegangen; als dann der Winter seine dunkle Eisdecke über den Fluß breitete, standen Herrn Zippels fröhlich bewimpelte Zelte auf derselben, und aus der an der Flußmündung belegenen Nachbarstadt flogen Schlitten und Schlittschuhläufer ab und zu. Der hagere, milzsüchtige Pastor, der die neue Wirtschaft nie anders als »Zipperleins Wald-und Wasserleiden« nannte, hatte in seiner Sonntagspredigt schon die deutlichsten Anspielungen auf Sodom und Gomorra fallenlassen.
    Dann aber kam die trübe Zeit, wo alles in Tau- und Schlackerwetter untergeht, und dann der Frühling und der neue Sommer. Die goldene Inschrift über der Veranda hatte nun schon fast eines vollen Jahres Glut und Winterungemach bestehen müssen, sie leuchtete nicht mehr so lustig wie im vorigen Sommer, und vielleicht mochte es damit zusammenhängen, daß jetzt selbst an Sonntagen die Zahl der Gäste nur eine dürftige war, ja daß man allerlei unbillige und bedenkliche Vergleiche zwischen dem neuen und dem alten bäuerlichen Wirte anzustellen begann. Soviel war gewiß, Kätti hatte eine Menge Zeit und wußte nicht recht, wohin damit. Sie musizierte wohl noch an einzelnen Abenden mit Sträkelstrakel in dem leeren Saale, sie sang und spielte auch wohl einmal, wenn Gäste unter der Veranda saßen; aber sie tat das eine mehr, um die schüchtern fragenden Augen des kleinen Musikanten zu befriedigen, das andere nach dem Willen ihres Vaters, dem sie nicht entgehen konnte. Mit den Töchtern der Bauern wußte sie nichts zu reden und diese nichts mit ihr; nur der junge Unterlehrer, ein gutmütiger Mensch mit Plattfüßen und gelbblonden Haaren, saß oft stundenlang neben ihr am Klavier und blickte, gleich Sträkelstrakel, in stummer Anbetung zu ihr auf. Aber was kümmerten sie eigentlich diese beiden Menschen!
    Manchmal nahm sie das kleinste der beiden weiß und grün gestrichenen Böte und ruderte den Fluß hinauf, bis wo am Ufer entlang sich große Binsenfelder streckten. Durch einige führte eine Wasserstraße wieder auf die Flußbreite hinaus; in andern gelangte sie nach einer schmalen Öffnung, durch welche das Boot nur mit eingezogenen Rudern hindurchglitt auf einen stillen, rings umschlossenen Wasserspiegel. Hier, an schwülen Sommernachmittagen, legte sie gern ihr Fahrzeug in den Schatten einer hohen Binsenwand; auf dem Boden des Bootes hingestreckt, die schmalen Hände über dem schwarzen Haar gefaltet, konnte sie ganze Stunden hier verbringen. Die Abgeschiedenheit des Ortes, das leise Rauschen der Binsen, über denen das lautlose Gaukeln der Libellen spielte, versenkte sie in einen Zustand der Geborgenheit vor jener doch so

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