Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
Mann zu bringen. Und selbst die Stammgäste hörten es gern noch einmal, wie er im Walde drüben den großen Wildeber von seines Vaters gelben Sauen abgejagt oder wie er drunten am Flusse den Ottern aufgelauert hatte, die in mondhellen Nächten an dem Dorf vorbeigeschwommen waren.
    Aber die bäuerliche Besitzer hatten Haus und Garten verkauft und sich weit vom Dorfe auf ihr Land hinausgebaut; und mit ihnen verschwanden neben den alten Geschichten auch die billigen Preise, der goldgelbe Rahm und die frischgekarnte Butter.
    – – Der neue Wirt war Herr Zippel. Es schien unglaublich, was er alles leistete, noch mehr, was er alles leisten wollte. Sein jetzt schon ziemlich angegrautes Haar befand sich stets im Zustande höchster Aufgeregtheit; er wollte zeigen, was aus diesem Erdenfleck zu machen sei, den seine dummen Vorgänger so lange als totes Kapital von Hand zu Hand gegeben hatten; nicht einmal einen Namen hatte sie für ihr »Etablissement« ersinnen können. Es sollte gründlich anders werden.
    Und schon war der hinter der Gaststube liegende Tanzsaal durchbrochen worden und daran nach der Flußseite eine große Veranda in den Garten hinausgebaut. Eben wurde von den Zimmerleuten eine schwere Bekrönung darauf befestigt, welche auf blauem Grunde in goldenen Buchstaben eine fußhohe Inschrift in die Welt hinausstrahlte.
    Herr Zippel selber stand betrachtend der Veranda gegenüber neben einem alten Bauer aus der Nachbarschaft. Der Alte rauchte behaglich seine kurze Pfeife; Herr Zippel hatte die vor fünf Minuten angezündete Zigarre schon bis zur Unkenntlichkeit zerbissen, seine Augen leuchteten, seine Finger spielten unruhig in der Luft; als nun aber endlich da droben der letzte Hammerschlag verhallt war, las er halblaut, mit vor Erregung bebender Stimme: »Hermann Tobias Zippels Wald- und Wasserfreude!« Dann nickte er bestätigend mit dem Kopfe, ergriff den Arm seines Nachbarn und zeigte nach dem Fluß hinab, wo an zwei neuen, weiß und grün gestrichenen Böten dieselbe Inschrift auf dem Wasser schaukelte.
    »Ja, ja, Nawer«, sagte der Bauer in seinem Platt, »dat kost’t wat!« Dann nickte er auch und rauchte ruhig weiter.
    Herr Zippel sah ihn fast entsetzt an. »Kost’t was, meint Ihr? – Bringt was ein, lieber Freund! Bringt was ein!« Und liebreich, aber mit begeisterter Überlegenheit klopfte er dem Alten auf die Schulter.
    »Ihr versteht das nicht«, fuhr er fort, da jener statt der Antwort nur ein paarmal hustete; »wird auch kein Mensch von Euch verlangen!«
    Damit führte er den ruhig Fortrauchenden durch die offene Veranda in den Tanzsaal und blieb derselben gegenüber vor einem Pianino stehen, dessen Deckel er mit gewandter Hand zurückklappte.
    »Hm!« sagte der Alte, nachdem er sich die Sache eine Zeitlang angesehen hatte.
    »Nun?« fragte Herr Zippel.
    Und endlich kam die ersehnte Gegenfrage, ob denn die Tochter, »dat lütte Deern«, auf diesem Ding da spiele.
    Jetzt aber war Herr Zippel in seinem Fahrwasser: das Kind, das Genie, das sie in ihren roten, fünf Zoll langen Schühchen schon gewesen! Sein unerschöpfliches Thema war angebrochen.
    Der alte Nachbar betrachtete unterdessen eine seitwärts angebrachte Einrichtung; es war eine Estrade mit einem kleinen Sitz und einem beweglichen Notenpult davor, alles hübsch in Holzmanier gestrichen und lackiert. Diese Einrichtung war für ein zweites Genie, das der neue Wirt schon innerhalb der ersten acht Tage hier im Dorfe selbst entdeckt hatte. Es steckte in einem kleinen hinkenden Schneider, welcher die Violine spielte, und von dem einmal ein Musikfreund gesagt hatte, es sei schade, daß er nichts gelernt habe. In der Tat aber hatte er sich zu einer Art natürlicher Fertigkeit hinaufgearbeitet, ja mitunter brach durch seine ungeschulten Töne etwas, das aus der Tiefe der Menschenbrust zu kommen schien und selbst den kundigen Hörer stutzen machte. Er hieß Peter Jensen; die Bauern aber, vielleicht in unbewußter Anerkennung, nannten ihn »Sträkelstrakel«. – Das dürre Männchen saß jetzt fast alle Feierabend auf dem Bänkchen der Estrade und blickte auf ein dunkelfarbiges Mädchen, das schräg ihm gegenüber am Klavier saß. Und nicht nur Tänze und Liedermelodien, selbst eine Mozartsche Sonate hatte die junge Virtuosin mit ihm einstudiert. Herr Zippel unterstützte das nach Kräften, denn es gehörte mit zu seiner »Wald- und Wasserfreude«; während draußen in der Veranda die Gäste seinen Wein tranken und seine »Soupers« und

Weitere Kostenlose Bücher