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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Wirtstochter!« – Er hatte vor Jahren auf dieselbe Frage ja ganz dieselbe Antwort gegeben, und sie hatte sich damals kindisch darüber gefreut; warum denn brannte heut das Wort wie eine Kränkung in ihrer jungen Brust? – Aber es war ja auch nicht jenes Wort allein; wie anders als gegen sie war sein Benehmen jenem blonden Mädchen gegenüber! Sie hatte früher nie daran gedacht; aber jetzt wallte es siedend in ihr auf: er hatte keinen Anstand genommen, sie noch immerfort zu duzen, so wie sie selber es bisweilen mit dem armen Sträkelstrakel machte!
    Sie richtete sich jäh empor, daß sie den Kopf an einen Sparren stieß. – War das eine Mahnung, daß sie sich nicht zu hoch erheben sollte? – Freilich, sie hatte nichts gelernt, sie konnte nicht Französisch mit ihm sprechen, in der Schule war sie immer faul gewesen. Aber sie besaß noch ihre Bücher; es war noch Zeit, um das Versäumte nachzuholen; nur das Lexikon fehlte ihr – aber unter des Doktors Büchern hatte sie eins gesehen; gleich morgen wollte sie ihn darum bitten! Nein, keine Teufelskünste, wozu die lange Trina sie verführen wollte; aber lernen, lernen! Er sollte sehen, daß sie keiner etwas nachgab.
    Sie legte wieder den Kopf in ihre Hände. Da hörte sie es von oben aus dem Garten herabkommen, und bald darauf unterschied sie ein Saitenklimpern und daneben den ungleichen Tritt des kleinen Musikanten. Gewiß, mit seiner Geige unter dem Arme wanderte er umher, um sie zu suchen. Aber sie regte sich nicht, und die Schritte entfernten sich wieder. Einmal flog es durch sie hin, und ihr war, als stocke jählings ihr Herz, ob denn nicht er, er selber sie vermissen würde. – Aber es kam niemand mehr. Statt dessen hörte sie bald vom Saal herab das Getöse des Tanzes, Geigenstriche und fröhliches Lachen.
    Qualvolle Stunden vergingen; endlich wurde es still, und die Wagen fuhren ab. Kätti schlüpfte aus ihrem Versteck, ließ einen Augenblick noch den feuchten Nachtwind über ihre Wangen gehen und schlich sich dann im Dunkeln fort auf ihre Kammer.
     
    Am andern Tage, da es noch morgenfrisch vom Fluß heraufwehte, kam Kätti wie gewöhnlich mit dem aus Brot und Milch bestehenden Frühstück des Doktors nach dem Abnahmehaus herab; vor der Haustür aber zögerte sie und holte ein paarmal tiefen Atem. Sie sah etwas bleich und anders aus als sonst; die dunkelrote Schleife saß zwar noch in dem glänzend schwarzen Haar; aber die langen Zöpfe waren am Hinterkopf zu einem Knoten aufgesteckt. Sie wollte nicht mehr wie ein Kind vor ihm erscheinen.
    Als sie eintrat, stand der Doktor vor einer aufgezogenen Schublade und kramte in seiner Wäsche, wandte aber auf das Geräusch des Türöffnens den Kopf und sah die Eintretende voll Erstaunen an. »Kätti! Fräulein Rosalie!« rief er scherzend. »Du bist ja ganz verwandelt. In welchem Zauberwinkel warst du gestern uns verschwunden?«
    Sie hob den Kopf, und aus dem Spalt der halb geschlossenen Lider flog es wie ein Blick des Hasses auf ihn hin. »Ich bin krank gewesen«, sagte sie düster. Als sie aber den plötzlichen Ausdruck der Teilnahme auf seinem Antlitz sah, öffnete sie die Augen weit und blickte mit kindlicher Hilflosigkeit zu ihm auf.
    »Du hättest noch ruhen sollen«, sagte er; »ich hätte mein Frühstück mir schon selbst geholt!«
    Sie schüttelte den Kopf und zeigte auf ein kleines Diktionär, das zwischen andern Büchern auf einem Seitentische lag. »Wollen Sie mir das leihen?« frug sie. »Darf ich es mit nach Haus nehmen?«
    »Das? Was willst du damit?«
    »Ich will Französisch lernen.«
    Das Antlitz des jungen Mannes verriet eine flüchtige Verlegenheit, die Kättis scharfen Augen nicht entging. Sie dachte: ›Was mag er gestern über dich gesprochen haben?‹
    Aber der Doktor lachte schon wieder. »Wäre es nicht besser«, sagte er, »du bliebest beim Nähen und Stricken? Mich dünkt, du warst früher gerade kein Held darin.«
    Sie antwortete ihm nicht darauf; sie wiederholte nur ihre Frage, ob er das Diktionär ihr leihen wolle.
    »Gewiß, Kätti«, sagte er harmlos, »und behalte es, solange es dir gefällt.«
    Sie nahm das Buch und wollte eben gehen, als sie von ihm zurückgerufen wurde. »Sieh da«, sagte er und zeigte ihr einige auf dem Tische liegende Leinwandstücke, die augenscheinlich Teile eines zugeschnittenen Hemdes waren; »ich habe bei meiner plötzlichen Abreise das letzte vom Dutzend so mit fortnehmen müssen; habt ihr eine leidliche Näherin im Dorf?«
    Sie schüttelte erst den

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