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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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wohin läufst du?« rief sie, als sie das Mädchen auf dem Wege sah, der um das Holz herumführte. Sie war zu ihr getreten und zeigte auf einen Eingang in den Tannenschlag. »Dort«, sagte sie, »und immer gradeaus, so kommst du auf den Fahrweg!« Sie führte Kätti an der Hand, bis wo der Fußsteig deutlich zu erkennen war. »Nun lauf; und wenn du dich besonnen hast, in einem halben Stündchen kannst du bei mir sein!«
    Fast willenlos hatte Kätti sich in den finsteren Tannensteig hineinführen lassen. In ihrem Köpfchen war kein Raum jetzt für die Furcht; das Hündchen freilich war vergessen, aber statt seiner hatte ein Menschenbild sich unerbittlicher als je der jungen Phantasie bemächtigt. Schon vordem, mit der qualvollen Spürkraft der Eifersucht, hatte sie herausempfunden, wohin die Stadtbesuche ihres Gastes zielten; bei den aufregenden Worten des argen Weibes hatten plötzlich alle Zweifel sie verlassen; aber zugleich auch war eine wilde Hoffnung in ihr aufgestiegen, die sie vergebens zu verjagen strebte. Wie betäubt ging sie jetzt dahin auf dem einsamen Waldsteige; immer wieder schwebte der schmutzige Zettel ihr vor Augen, und mechanisch murmelten ihre Lippen die unverständlichen Worte, die sie darauf gelesen hatte.
    Dann wieder sah sie jäh empor, als suche sie Zuflucht in dem reinen Ätherblau, das hoch über ihr am Himmel stand: sie schüttelte wie zornig ihr dunkles Köpfchen, als könne sie so die unheimlichen Gedanken von sich werfen; aber immer wieder und immer unabwehrbarer drang es auf sie ein. Unwillkürlich suchten ihre Blicke hin und wider, und bald folgten auch die Füße seitwärts vom Wege ab; ihre Augen streiften alles, was hier durcheinander aus dem Dunst des Bodens aufgeschossen war; auch Pilze von allerlei Form und Farben sah sie, nur waren es die rechten nicht. Und weiter ging sie, ohne auf den Weg zu achten, ohne aufzusehen; da, am Rande einer feuchten Lichtung, stockten ihre Schritte. Sie glaubte erst, es sei eine Blume, was so zinnoberrot unter dem grünen Farnkraut hervorleuchtete; aber bald sah sie es deutlich, es war der Hut eines großen Pilzes, der hier jetzt dicht vor ihren Füßen stand.
    Ein Laut gleich einem Stöhnen kam über ihre Lippen; sie schloß die Augen wie vor einem bösen Trugbild; aber als sie sie wieder öffnete, stand es noch immer da und bot, wie in einem Näpfchen, ihr den roten Schaum entgegen. Ohne daß sie es wollte, hatte sie sich hinabgebückt; in ihren Gedanken rief es: ›Gift! Gift! Es ist Gefahr dabei!‹, aber ihre stürmenden Pulse antworteten: ›Es ist um desto besser!‹
    Ihre Lippen begannen wieder die unsinnigen Worte herzusagen, und schon hatte sie den Arm, den Finger ausgestreckt, da bewegte sich der Hut des Pilzes; ein Schauer zog durch den Wald, und die Bäume rauschten, wie vom Odem eines Unsichtbaren angehaucht.
    Es war nur der Abendwind, der sich erhoben hatte; aber das Mädchen war aufgesprungen; vom Schrecken der Einsamkeit erfaßt, rannte sie ohne Aufhör in den Wald hinein, ohne umzusehen, ohne zu achten, daß die Fetzen ihrer Kleider an den Büschen blieben, bis sie endlich in gutem Glücke auf den ihr bekannten Fahrweg hinauskam.
    Ihr wurde plötzlich leicht ums Herz; sie atmete auf, als ob sie jetzt dem Zauberbann der argen Frau entronnen wäre. Ihr fiel nicht bei, daß noch ein anderer sie gefangenhalte, aus dem sie nicht so leicht entrinnen sollte.
     
    Am nächsten Sonntage, es war schon gegen Abend, fuhr in drei Wagen eine Gesellschaft feiner Leute an der »Wald- und Wasserfreude« vor. Herr Zippel, dem vorher nichts angemeldet worden, geriet in große Aufregung, als man ihm ankündigte, hier sei die letzte Station der heutigen Lustfahrt; man wolle nun mit Abendbrot und Tanz den Kehraus machen. Der Doktor dagegen schien von allem unterrichtet; er war sogleich zur Stelle, half den alten und jungen Damen vom Wagen und schalt die jungen Herren, daß sie sich unterwegs so lange aufgehalten.
    Kätti stand, nach der Flußseite, halb verdeckt hinter der Ecke des Hauses. Untätig, mit düsteren Augen und herabhängenden Armen, hörte und beobachtete sie alles, was hier vorging; dann, als die Gäste von ihrem Vater in das Haus hineinkomplimentiert waren, schlich sie sich zögernd durch den Garten in die Küche.
    Nicht lange nachher erschien sie mit Tischzeug und Geschirr in der Veranda und begann unter Herrn Zippels kreuz- und querfliegenden Befehlen die Abendtafel herzurichten. Während sie leicht und sicher eines nach dem andern an

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