Werke
Kopf; dann aber sagte sie hastig: »O ja doch, es wird schon gehen; ich weiß doch eine.«
– »Dann sei so gut, es zu besorgen!«
Sie packte rasch die Leinwand zusammen und ging mit dieser und dem Buche fort. Als sie draußen am Fenster vorüberschritt, sah er ihr durch die Scheiben nach, ja er öffnete das Fenster, um ihr noch weiter nachzusehen, und er tat es, bis das feine Köpfchen mit dem glänzend schwarzen Haarknoten droben im Gebüsch verschwunden war. »Vraiment, une petite princesse dans son genre!« Halblaut wiederholte er sich diese Worte, durch welche gestern die blonde Majorstochter sich mit der eigentümlichen Anmut des Mädchens abgefunden hatte.
Er stieß auch noch die andern Fensterflügel auf, um die frische Morgenluft hereinzulassen. »Dans son genre?« murmelte er vor sich hin. – »Nur dans son genre?« Und nachdenklich setzte er sich an den Tisch, um das ihm von der petite princesse gebrachte Frühstück zu verzehren.
– – Inzwischen schritt Kätti, nachdem sie oben am Hause das Diktionär in ein offenes Fenster gelegt hatte, die Dorfstraße hinab, bis sie an das niedrige Strohdach des Musikanten kam. Als sie zu ihm in die Stube trat, rutschte er mit möglichster Behendigkeit von seinem Schneidertisch herab und stand in seinen wollenen Strümpfen vor ihr auf dem Lehmboden.
»Sträkelstrakel!« sagte Kätti, während der kleine Mann sie halb verwundert, halb besorgt betrachtete. »Er kann doch Weißzeug nähen, Sträkelstrakel?«
Seine schmalen Lippen zogen sich zu einer harmlosen Selbstverspottung zusammen. »Ei freilich, Mamsellchen; ein Schneider im Dorf kann alles nähen: Hemden und Pudelmützen, und was Sie sonst noch lustig sind, Mamsellchen!«
Sie nickte und kramte ihre Leinwandstücke auf dem Arbeitstische aus. »So hilf mir! Nähen kann ich’s schon; ich weiß nur nicht, wie es zusammengeht.«
Bald lehnten beide gegen den Tisch und suchten die zusammengehörigen Stücke aneinanderzupassen. Der Schneider geriet wirklich ein paarmal in Verlegenheit, denn so ein Stadtherrending war doch was anderes als ein gewöhnliches Bauernhemd. Endlich aber kam’s zurecht. »So!« rief er und betrachtete jetzt etwas verwundert die Länge und Breite des Gewandes. »Ich hätte noch kaum den Herrn Zippel für eine so ansehnliche Person gehalten!«
Kätti wurde glühend rot. Aber der Schneider bemerkte das nicht, und sie selber sah sich nicht veranlaßt, ihn über ihren Arbeitgeber aufzuklären. Zärtlich, als verhülle sie ein Geheimnis, rollte sie die Leinwand wieder auf; dann fragte sie noch statt des Dankes: »Was meint Er, wollen wir einmal heut abend unsere Sonate spielen?«
Sträkelstrakel warf einen Blick auf seine Geige, die glücklich wieder an der Wand hing. »Ach ja, Mamsellchen«, sagte er freudig, »die von dem großen Mozart; und wir haben sie so lange nicht gespielt! – Freilich«, setzte er hinzu, »Sie haben jetzt auch viel zu schaffen; die Aufwartung da drunten bei dem jungen Herrn.« – –
Er sah ihr seufzend nach, da sie mit einem freundlichen Nicken ihn jetzt verließ. Noch immer vermochte er ein neidisches Gefühl nicht ganz zu unterdrücken, daß der junge vornehme Herr das Mädchen so ohne alle Mühe vom Wege aufgelesen hatte. Aber die angeborene Dankbarkeit seines Herzens trug den Sieg davon. ›Pfui! Pfui!‹ sagte er zu sich selber. Dann hinkte er an die Wand, langte Geige und Bogen von ihrem Haken, und bald erklangen aus dem niedrigen Stübchen in reinen Tönen die lieblichsten Passagen der Mozart-Sonate.
Als es an diesem Abend elf vom Glockenturm geschlagen hatte, stand der Doktor von seiner Arbeit auf und setzte sich auf den großen Stein vor seiner Haustür, um der Nachtkühle zu genießen und vor dem Schlaf noch eine Weile lieblichen Gedanken nachzuhängen, wie sie die zukunftsreiche Jugend zu besuchen pflegen. Nur eine Weile ruhten seine Blicke auf der Landschaft, die in verschwimmendem Umriß sich vor ihm ausbreitete; was sonst getrennt war, die Welt seiner Innern und die da draußen, im schützenden Dämmer der Nacht traten sie traulich zueinander und verwebten sich in eins. Wie traumredend durch die weite Stille rauschte der Fluß in seinen Ufern, und in dem silbernen Lichte des Sternenhimmels tauchte die Gestalt des blonden blauäugigen Mädchens wie Anadyomene aus der Flut. Er sah sie deutlich vor sich; nur der Saum ihres weißen Gewandes verlor sich in den Wellen; mit jenem lässigen Neigen des Hauptes lächelte sie ihn an, und in dem
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