Werke
ackerten und ernteten und säckelten die Korngelder ein, ohne daß Herr Hennicke dareingeredet hätte. Niemals hat er mehr ein Pferd bestiegen; aber in bestimmten Zwischenräumen ist er am Stabe nach Eekenhof gewandert. Das Haus hat er nie betreten; aber auf der kleinen Bank unter den Eichen hat er oft gesessen, wie erwartungsvoll das Antlitz dem Hause zugewandt, als ob dort in jedem Augenblick die Tür sich öffnen müsse. Nur wenn vom Giebel plötzlich der Schlag der Uhrglocke herabgeschollen, hat er wie erschreckt emporgeblickt; denn die Uhr schlug nach wie vor; er selber hat dem Küster aus dem Dorfe einen hohen Lohn gezahlt, daß er auf dem verfallenen Boden das Werk in stetem Gange halte. Wenn die Dorfkinder, vom Felde herkommend, hier vorübergingen, haben sie sich scheu von ferne die regungslose Greisengestalt gezeigt und heimlich untereinander flüsternd ihren Weg verfolgt, denn ein unsicheres, aber furchtbares Gerücht ist in den Bauernstuben umgelaufen: es seien die Schattenhände der toten Frau gewesen, die Herrn Hennickes Kraft gebrochen hätten.
Und so in seiner Einsamkeit ist er bis an die äußerste Grenze des Menschenlebens gelangt. Von Heilwig aber und dem blonden Reiter hat sich jede Spur verloren.
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Im Brauerhause
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Es war in einem angesehenen Bürgerhause, wo wir am Abendteetisch in vertrautem Kreise beisammensaßen. Unsere Wirtin, eine Fünfzigerin von frischem Wesen, mit einem Anflug heiterer Derbheit, stammte nicht aus einer hiesigen Familie; sie war in ihrer Jugend als wirtschaftliche Stütze in das elterliche Haus ihres jetzigen Mannes, unseres trefflichen Wirtes, gekommen und hatte in solchem Verhältnis dort gelebt, bis der einzige Sohn so glücklich gewesen war, sie als seine Ehefrau bleibend festzuhalten. Das Vertrauen, womit des Bräutigams Mutter gleich nach der Hochzeit der Jüngeren ihren eigenen Platz im Hause einräumte, hatte diese nun schon manches Jahr über das Leben ihrer beiden Schwiegereltern hinaus gerechtfertigt. Bei ihrem jetzt den Siebzigern nahen Ehemann selber begann schon das Greisenalter seine leise Spur zu ziehen; aber wo ihm eine Kraft versagte, da suchte sie unbemerkt die ihre einzusetzen; wo ihrerseits eine Entsagung nötig oder auch nur erwünscht schien, da blickte sie nur mit um so freundlicheren Augen auf ihren Mann und blieb bei ihm allein, wenn andere dem Vergnügen nachgingen. Der alte Herr selber war nicht von vielen Worten; aber die ruhige Sicherheit einer gegenseitig bewährten Liebe war in diesem Hause allen fühlbar, und alle fühlten sich dort wohl.
Am heutigen Abend jedoch wollte das gewohnte Gespräch, worin man sich sonst über Stadt- und Landesangelegenheiten mit Behaglichkeit erging, noch immer nicht in rechten Fluß geraten; denn in einer unserer Nachbarstädte war früh am Morgen etwas Ausnahmsweises und Entsetzliches, es war die Hinrichtung eines Raubmörders dort vollzogen worden, und die Luft schien mit diesem Unterhaltungsstoffe so erfüllt, daß kaum etwas anderes daneben zur Geltung kommen konnte. Hier war nun überdies noch ein abergläubischer Unfug im Gefolge der Exekution gewesen; ein Epileptischer hatte von dem noch rauchenden Blute des Justifizierten trinken und dann zwischen zwei kräftigen Männern laufen müssen, bis er plötzlich, von seinen Krämpfen befallen, zu Boden gestürzt war. Dennoch galt dies Verfahren als ein untrügliches Heilmittel seiner Krankheit. Und noch zu anderen Kuren und sympathetischen Wundern sollten Haare, Blut und Fetzen von der Kleidung des Hingerichteten unter die Leute gekommen sein.
An unserem Teetisch erhob sich darüber ein lebhaftes Durcheinanderreden; all diese Dinge wurden gleichzeitig als unzulässig und strafbar, als verabscheuungswürdig und als lächerlich bezeichnet. Nur unsere verehrte, sonst so teilnehmende Wirtin saß plötzlich so still und in sich versunken, daß endlich alle es bemerken mußten.
Als wir sie eben darauf ansahen, rief ihre älteste Tochter zu ihr hinüber: »Mutter, du denkst gewiß an Peter Liekdoorns Finger!«
»Ja, ja, Peter Liekdoorn!« sagte nun auch der alte Herr; »das ist eine Geschichte! Erzähl sie nur, Mutter, deine Gedanken kommen sonst ja doch nicht davon los, und zu verschweigen ist ja nichts dabei!«
»Nein, mein Vater«, sagte die alte Dame; »es ist ja einstens auch genug davon geredet worden.«
Dann sah sie uns alle der Reihe nach mit ihren freundlichen Augen an, und als auch wir dann baten, begann sie in ihrer mitteilsamen Weise:
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