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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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hatte ich mir gedacht. Er braucht eigentlich nur von einem Dieb zu sein; aber besser ist gewißlich immer besser; nein, den Daumen hat sich nicht der Fuchs geholt, den können ganz andere Leute noch gebrauchen! Da fragt nur Euren Lorenz, wenn Ihr’s nicht selber wißt!‹
    Aber Lorenz sah auf seinen Teller und aß schweigsam seinen Reisbrei.
    ›So erzählt es doch nur, Nachbar!‹ sagte meine Mutter, denn sie wollte nicht, daß er den alten Lorenz necken sollte. ›Kann leicht geschehen, Frau Nachbarn‹, erwiderte er; ›aber wißt Ihr das denn nicht? Wer solch einen Finger unter seinem Drümpel eingegraben hat, dem strömt die Kundschaft in das Haus hinein! – Nun‹, setzte er gutmütig hinzu, ›hier, Gott sei Dank, sind solche Künste nicht vonnöten!‹
    ›Das walte Gott!‹ sprach meine Mutter leise und klopfte unter den Tisch, um die üble Berufung abzuwenden. Denn solche Dinge zählte sie nicht zum Aberglauben, und sie konnte ganz böse werden, wenn man ihr dawider stritt; dagegen wußte sie wohl, daß das großväterliche Vermögen in viele Teile gegangen und die Brauerei derzeit mit schweren Schulden von ihrem Manne übernommen war.
    Mein Vater war ganz ernst geworden. ›Setz dich, Christian‹, sagte er zu dem Jungen, der noch immer auf der Diele herumstand, ›und mach, daß du mit deinem Reisbrei fertig wirst!‹
    Ich weiß noch wohl, unsere Mahlzeit ging ganz still zu Ende.«
     
    Nachdem auf Befragen einer mitteldeutschen Anverwandten noch erklärt war, daß unter dem plattdeutschen Worte »Drümpel« eine Türschwelle zu verstehen sei, begann die Erzählerin wieder: »Man hätte glauben sollen, daß wir nun endlich mit Peter Liekdoorn fertig gewesen wären; aber, leider Gottes, das alles war nur erst der Anfang.
    Es war im Juli und ungewöhnlich heiß; die Ernte hatte schon begonnen. Von den umliegenden Dörfern kam ein Wagen nach dem andern hinten vor unserem Brauhaus angefahren, um Gut- und Dünnbier für Herrschaft und Leute abzuholen, und nicht nur viertel und halbe, sondern fast immer ganze Tonnen wurden aufgeladen. Mein Vater und unser alter Lorenz arbeiteten in hellem Schweiße, aber mit vergnügten Angesichtern. In unserer hohen kühlen Außendiele, unter dem Fenster, lagen zwei Fässer für den Hausverkauf; ich habe manches Maß voll da herausgezapft, denn seit meiner Konfirmation hatte ich das zu besorgen. Aber jetzt ließ es mich in Wahrheit kaum zu Atem kommen; ich merkte wohl, auch die Leute in der Stadt hatten bei der grausamen Hitze einen schönen Durst; Kopf an Kopf stand es oft um mich herum, und mit all den Krügen und Kannen, die sie gegen mich streckten, trieben sie mich eines Tages so in die Enge, daß ich erst auf einen Tritt und dann oben auf die Fensterbank mich retirieren und von dort aus eine ordentliche Rede halten mußte, bevor ich nur wieder zu meinem Faß hinunter konnte.«
    Die Erzählerin sah uns an und nickte. »Ja«, sagte sie, »es mag wunderlich ausgesehen haben; aber ich war damals auch noch eine flinke, leichte Dirne! Und was war das für eine Freude, wenn ich so mittags und abends zwei schwere blanke Hände voll vor meinem Vater auf den Tisch schütten konnte! Ich weiß noch, morgens, bevor die Zeit herangekommen war, wie ich in der Stube am Fenster stand und es nicht erwarten konnte, bis ich den ersten mit Krug oder Blechgemäß unserm Haus zusteuern sah.
    So stand ich auch eines Vormittags und konnte nicht begreifen, daß das lustige Geldeinnehmen noch immer nicht in Gang kommen wollte; denn es war schon über zehn, und im Flur draußen von unserer Hausuhr schlug es erst ein Viertel, dann halb; aber es kam noch immer niemand. Endlich ging ich hinaus und vor die Haustür; da kamen zwei arme Kinder mit ihren kleinen Töpfen, dann hintereinander noch ein paar andere Leute von dem äußersten Ende der Stadt, und als ich die abgefertigt hatte, schlug die Uhr zu meinem großen Schrecken elf; denn ich wußte nun, daß die Verkaufszeit für diesen Vormittag so gut als wie vorüber sei.
    Ich hatte endlich nur ein paar armselige Schillinge, die ich mittags vor meinem Vater hinlegen konnte.
    ›Was ist das, Nane?‹ sagte er. ›Weshalb gibst du mir nicht alles?‹
    ›Das ist alles, Vater.‹
    – ›Alles? Das ist ja sonderbar.‹ Weiter sagte er nichts.
    Aber auch am Nachmittage und den zweiten und die folgenden Tage blieb es ebenso; ja selbst die Wagen von den Dörfern kamen immer weniger, und aus einem großen Dorfe, wo wir sonst die beste Kundschaft hatten,

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