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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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»Mein seliger Vater hatte, wie das Ihnen allen wohl bekannt ist, eine Brauerei; keine bayerische, wie sie heutzutage sind; es wurde nur Gutbier und Dünnbier gebraut; aber beides war gut für den Durst und nicht so gallenbitter wie das jetzige, das nicht einmal zu einer Biersuppe zu gebrauchen ist.«
    Wir lachten, und sie lachte herzlich mit uns.
    »Das Geschäft«, fuhr sie dann fort, »war noch von Großvaters Zeiten her und lange das einzige am Ort gewesen; im Jahre meiner Konfirmation aber wurde von einem reichen Bäcker noch ein zweites etabliert. Wenn man hinten aus unserem Brauhaus auf den Weg hinaustrat, konnte man am Nordende der Stadt das neue rote Dach über den Gartenbäumen scheinen sehen; und ich glaube freilich nicht, daß mein Vater, und noch viel weniger, daß unser alter Brauknecht Lorenz es eben mit Vergnügen sah; aber unser Bier hatte doch seinen alten Ruf, und die Kundschaft blieb groß genug, daß wir alle satt hatten und mein Vater jedem zahlen konnte, was er schuldig war.
    Da, nicht lange nachher, geschah es, daß auch bei uns ein ganz abscheulicher Kerl hingerichtet wurde. Wie er eigentlich hieß, weiß ich nicht einmal; aber die Leute nannten ihn ›Peter Liekdoorn‹; denn er hatte nichts gelernt und suchte sich deshalb als Hühneraugen-Operateur durchzuhelfen. Nun, ich hätte den Kerl nicht an meinen Hühneraugen haben mögen! – Da er viel Branntwein trank und wenig in der Tasche hatte, so brachte er seine eigene fast neunzigjährige Tante ums Leben, von der er wußte, daß sie einen Strumpfsocken mit Banktalern in ihrem Bettstroh aufbewahrte; aber bevor er noch einen davon ins Wirtshaus tragen konnte, so hatten sie ihn schon fest und auf der Fronerei; und endlich war denn auch sein Prozeß zu Ende; er sollte draußen auf dem Galgenberg enthauptet und dann sein Körper auf das Rad geflochten werden. Und das war wohlverdient; denn die alte Tante hatte den Bengel, der eine Waise war, vor Jahren mit Not und Hunger aufgezogen, und die Banktaler hatte sie sich zum ehrlichen Begräbnis aufgespart.
    Wie ich schon sagte, hatten wir derzeit noch unseren alten Brauknecht Lorenz, der wie das Geschäft selbst auch noch von meinem Großvater stammte; eine treue, fromme Seele! Über sein Wandbett hatte er sich mit Kreide den halb plattdeutschen Spruch geschrieben:
     
    Lorenz Hansen is mein Nam;
    Gott hilf, daß ich in ’n Himmel kam!
     
    Und sooft auch die Magd ihn am Sonnabend mit der Seifenbürste wegwusch, er malte ihn am Sonntag immer geduldig wieder hin. Uns Kindern, wenn wir abends in der Brauerei am großen Steinbottich bei ihm saßen, wußte er Geschichten zu erzählen, daß wir zuletzt vor Gruseln ihm alle auf den Schoß gekrochen waren, und wie das heutzutage kein Mensch mehr so versteht. Das war nun gut; aber warum er solche Geschichten so erzählen konnte, das war nun nicht so gut! Er glaubte nämlich selber an all das dumme Zeug, womit er uns traktierte. Am Paaschabend, wenn er sein Dutzend Ostereier ausgelöffelt hatte, schlug er sorgsam alle Schalen entzwei; sonst, sagte er, könnten die Hexen darin nisten; beim Bierbrauen legte er allemal ein Kreuz von Holz über den Gärkübel, so konnte keiner den Gest (Hefe) rauben, und das Bier konnte nicht verrufen werden. Meiner Mutter, die uns auch oft beim Geschichtenerzählen auseinanderjagte, war all so etwas in den Tod zuwider; sie schalt ihn oft darüber und auch auf meinen Vater, daß er solche Narrenspossen unter seinem Dache leide. Aber unser Vater war eben, wie wir auf plattdeutsch sagen, ein ›liedsamer‹, ein gelassener Mann; er strich schmunzelnd seiner kleinen lebhaften Frau mit der Hand übers Gesicht und sagte: ›Mutter, laß mir den alten Lorenz; so einen Brauknecht gibt es keinen zweiten; er meint’s gut, und es schadet keinem.‹
    Damit war meine kleine Mutter allemal fertig, zumal wenn sie noch einen Kuß dazubekam; aber recht hatte er darum doch nicht; denn dumm ist dumm, und es sollte niemand sagen, daß die Dummheit keinen Schaden tue.
    Als es nun so weit war, daß tags darauf der Mörder Peter Liekdoorn sich durch Hingabe seines irdischen Leibes mit seinem Gott versöhnen sollte, hatte unser Lorenz es sich von dem Bürgermeister und seinem Brotherrn ausgebeten, daß er dem armen Sünder in seiner letzten Nacht Gesellschaft leisten durfte; denn sie waren Nachbarskinder gewesen, und in der Schule hatte Lorenz ihm oft die eine Hälfte von seinem Butterbrot gegeben, und Peter Liekdoorn hatte sich dann die andre noch

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