Werke
blieben sie völlig weg. ›Lorenz‹, hörte ich einmal, da ich über den Hof ging, unsern Vater fragen, ›wann hat Marx Sievers zum letzten Mal geholt?‹
›Ich denke, Herr, die andre Woche geht eben heut zu Ende.‹
›Bei der grausamen Hitze? – Lorenz‹, und an meines Vaters Stimme hörte ich, wie er voll Angst und Sorge war; ›was ist passiert, Lorenz? Wir haben nimmer besser Bier gehabt!‹
›Weiß nicht, Herr!‹ erwiderte der Alte düster.
Ich mochte nicht stehenbleiben und hören, was sie weiter sprachen; aber ich wußte wohl, Marx Sievers war der größte Bauer in jenem Dorfe, und wie jetzt, in der Ernte, pflegte sein Fuhrwerk sonst fast jeden dritten Tag zu kommen.
In der nächsten Zeit wurden die Darre und die Braupfannen auf das sorgfältigste nachgesehen und gereinigt; mein Vater untersuchte jeden Sack mit Hopfen, ob auch irgendwo eine Verstockung sich eingenistet habe; aber er kam stets kopfschüttelnd von solchem Tun zurück; es war nichts zu finden, was nicht in der Ordnung war. Wir gingen alle wie verstört umher; denn jeder wußte, die Erntezeit sollte den Hauptverdienst des ganzen Jahres bringen; und die paar guten Tage, die so schnell vorübergegangen waren, konnten dabei nichts verschlagen. Bei den Mahlzeiten wurde jetzt kein Wort gesprochen, die Augen unserer Mutter gingen angstvoll nach ihres Mannes Angesicht, während sie uns schweigend zuteilte. Der alte Lorenz aber war plötzlich ein ganz wunderlicher träger Mensch geworden; nicht, weil er keine Geschichten mehr erzählte, denn wer hätte Lust gehabt, die jetzt zu hören! Sogar die Kinder nicht! Aber, was nimmer noch passiert war, zu zweien Malen, als ich ihn zum Mittagessen rufen wollte, fand ich ihn bei hellichtem Tage hinter einem Braufaß eingeschlafen. Und da ich ihn weckte, sagte er nur: ›Danke, Nane, danke!‹ Als ob das ganz so in der Ordnung wäre. Mir aber war das ganz unheimlich, denn der alte Lorenz war ja fast die halbe Brauerei.
Da, eines Sonntagmorgens, kam mein Bruder Christian wieder einmal mit solcher Fahrt hereingestürzt, wie er es allemal tat, wenn er was Besonderes zu verkünden hatte. Aber, Gott bewahre, wie sah der Junge in seinen Sonntagskleidern aus! Das ganze Gesicht voll Blut; das eine Auge dick verschwollen!
›Wo kommst du her?‹ rief mein Vater. ›Bist du in dem Krieg gewesen?‹
›Nein‹, sagte der Junge; ›wir haben uns nur geprügelt.‹
›Schon wieder einmal? Und das am heiligen Sonntag? Was ist denn heute wieder los gewesen?‹
›Ja, Vater‹, sagte Christian und wischte sich erst mit dem Ärmel das Blut von seiner Backe; ›sie haben schon mehrmals so gelogen, ich hab es euch nur nicht erzählen mögen; die Jungens sagen, Peter Liekdoorns Finger ist in unserm Bier gewesen!‹
Meine Mutter schrie laut auf; mein Vater war nur totenbleich geworden. ›Darum also!‹ sagte er leise.
In diesem Augenblick wurde angeklopft, und Nachbar Ivers trat herein, der lang nicht dagewesen war.
›Nun, Ivers!‹ sagte mein Vater, ›kommt Ihr auch einmal? Ihr wagt’s ja auch nicht mehr, von unserem Bier zu trinken!‹
›Hm!‹ machte der Alte und sah meinen Vater mit seinen klugen Augen an. ›Aber um Christi willen, was ist mit dem Jungen da passiert!‹
– ›Ja, was ist mit ihm passiert! Erzähl’s nur selber, Christian, warum du dich geschlagen hast.‹
›Ja, Nachbar Ivers‹, sagte Christian, ›die Jungens sagen alle, Peter Liekdoorns Finger ist in unserem Bier gewesen!‹
– ›Hm – so, mein Jüngelchen! Und da hast du mit allen dich deshalb geschlagen?‹
›Nein, nicht mit allen; nur mit ein Stücker viere, aber tüchtig!‹
Der Alte sah ihm in sein verschwollenes Angesicht und nickte. ›Aber es nützt nur nicht viel, Christian, und wenn du es auch mit allen fertiggebracht hättest. – Nachbar Ohrtmann‹, wandte er sich dann zu meinem Vater, ›ich komme just um dessen willen zu Euch; ich möcht Euch raten, nehmt Eueren alten Lorenz einmal tüchtig ins Gebet! Ihr wisset wohl nicht, weshalb er mit seinem alten Kameraden durchaus die Henkersnacht hat teilen wollen?‹
›Ei freilich!‹ rief meine Mutter; ›er hat ihm für die gestohlenen Butterbröte die himmlische Wegzehrung wollen bereiten helfen!‹
›Das nebenbei, Frau Nachbarn‹, sagte Ivers, ›vor allem aber hat er ihm noch bei lebendigem Leibe seinen Daumen abgekauft; die alten Weiber in der Stadt erzählen sich das ganz genau.‹
›Habt Ihr nichts anderes zu berichten, Ivers, als dies dumme Zeug?‹
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