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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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sagte die Erzählerin; »wer sollte so was auch vergessen können! Mein Vater aber hatte plötzlich seine Hände vor der Brust gefaltet. ›Mutter! Kinder!‹ sagte er ruhig, ›Gott ist barmherzig und ein Gott der Liebe! Er prüfet wohl; doch er verlasset keinen, der in seiner Schwachheit gerecht vor ihm zu wandeln trachtet!‹ Und dann betete er laut; ich habe niemals ein so heißes Dankgebet aus eines Menschen Munde gehört. Meine vierzehnjährige Schwester war auf die Knie gesunken und sprach ebenso laut die Worte nach, die über seine Lippen strömten.
    Auf unsern Christian aber hatte die Freudenbotschaft auch noch eine andere Wirkung. Als wir noch alle schweigend um unseren Vater standen, bemerkte ich auf einmal, daß er wiederholt mit der doppelten Faust als wie zur Übung in die leere Luft hineinschlug.
    ›Christian! Christian!‹ rief unsere Mutter, ›was treibst du da für Faxen?‹
    Christian tat erst noch einen Lufthieb und schaute dabei sehr fröhlich aus seinem heut ganz braun und blauen Angesicht. ›Verdamm mich, Mutter!‹ sagte er, denn er fluchte wirklich mitunter ganz gotteslästerlich; ›verdamm mich, Mutter! Nun sollen die Jungens aber Prügel haben!‹
    ›Pfui, schäm dich!‹ rief sie. ›In solchem Augenblick an so was nur zu denken!‹
    Er ließ zwar etwas beschämt den Kopf hängen, dann aber murmelte er: ›Ja, Mutter, verdamm mich! Sie sollen es aber doch!‹ Und geschwind tat er noch einmal einen Fausthieb durch die Luft.
    Mein Vater, der dergleichen sonst nicht leiden konnte, strich heute seinem hitzköpfigen Knaben nur lächelnd übers Gesicht; er war zu glücklich, um jetzt ein tadelndes Wort zu sprechen. ›Hole mir lieber unsern Lorenz, Christian‹, sagte er, ›damit wir auch ihm den Stein von seinem Herzen nehmen!‹
    Und dann wurde Lorenz geholt; und ich las noch einmal. Als ich fertig war, standen dem alten Menschen die Augen dick voll Tränen.
    ›Sehen Sie wohl, Herr!‹ sagte er und schlug sich leise mit der Hand gegen seine Brust,
     
    Lorenz Hansen is mein Nam;
    Gott hilf, daß ich in ’n Himmel kam!
     
    ›Amen‹, sagte mein Vater. Dann wurde Christian mit dem Schriftstück in die Druckerei geschickt.
    – Als wir später bei unserem Nachmittagskaffee saßen, bemerkte ich, daß unser Vater einige Male ganz schelmisch nach seinem Pfeifenbrett hinüberblinzelte. ›Was meinst du, Nane‹, sagte er heiter, ›wenn du mir heut einmal den großen Meerschaum stopftest?‹ – Ich war fast verwundert; denn da er das Rauchen eigentlich nur für reiche Leute schicklich hielt, so erlaubte er sich sonst nie vor Feierabend seine Pfeife Portoriko; die silberbeschlagenen Meerschaumköpfe aber, die beide sorgsam mit einem Seidentuch umwunden waren, die kamen stets nur sonntags von der Wand. Als ich dessenungeachtet jetzt die schöne Pfeife stopfte, nickte er mir freundlich zu: ›Und nun geh auch in die Küche‹, fuhr er fort, ›und brenne sie mir selber an; und wenn du das getan hast, dann hole den Kalender und ziehe unter diesen Tag mit deinem Rotstift einen breiten Strich! Unser Wandsbecker Bote hat so viele Haus- und Jahresfeste; nun haben auch wir eines! Und wenn der Tag sich jährt, dann vergiß niemals, mir schon beim Kaffee meinen großen Meerschaumkopf zu stopfen!‹
    – Unser Vater war wohl kein schöner Mann, er hatte nur seine treuen blauen Augen; aber an diesem Tage, und wie er so seelenfroh aus seinem Meerschaum rauchte, fanden meine Schwester und ich ihn beide so hübsch, daß wir gegenseitig ihn uns immer wieder zeigen mußten.«
     
    Die alte Dame schwieg, als ob ihre Erzählung hier zu Ende sei; mir aber war, als sei das eigentliche Ziel derselben noch von ihr zurückgehalten.
    »Und weiter?« frug ich nach einer Weile, da auch niemand anders sprach.
    »Weiter?« rief eine muntere Frau an meiner Seite. »Was wollen Sie noch weiter? Ende gut, alles gut! Es war ja alles nur um nichts gewesen!«
    Ich sah auf unsere Wirtin, deren sonst so heitere Augen jetzt mit einem durchdringenden Blicke auf die Sprecherin gerichtet waren. »Da haben Sie recht«, sagte sie; »es war alles nur um nichts.«
    »Aber die Kundschaft«, frug ich, »sie kam jetzt doch wieder? Und in der nächsten Erntezeit mußte die flinke Nane vor all den durstigen Krügen und Gemäßen doch wieder auf den Tritt und von dem Tritt aufs Fenster flüchten?«
    Die alte Dame tat einen tiefen Atemzug. »Nein«, sagte sie, »so etwas ist niemals wieder vorgekommen; in der Erntezeit des folgenden Jahres

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