Werke
gesetzt hatte, standen wir alle um ihn her, bis er endlich zu erzählen anhub. – In dem Studierzimmer des Bürgermeisters, als er mit dem jungen Sievers dorthin kam, war eben der alte lustige Apotheker Hennings zugegen gewesen. Der hatte geraten, den Finger erst ein paar Tage in Spiritus zu setzen, damit sich der Überzug von Hefe löse, und dann gründlich untersucht werden könne, ob er zu der Hand des Hingerichteten gehöre oder nicht. Nach der Zustimmung des Bürgermeisters war er selbst nebenan in seine Apotheke gelaufen und bald mit einem vollen Glashafen zurückgekommen. Sehr genau hatte er hierauf den Finger besehen, dann gerieben und geschabt und ihn um und um gewandt. ›Aber ein wunderlicher Kauz‹, sagte mein Vater, ›ist der alte Hennings doch; denn er schmunzelte dabei, als ob er einen Allerweltsspaß in den Händen drehe!‹ – ›Man sollte kaum meinen‹, hatte er zuletzt gesagt und dabei meinen Vater ganz listig durch seine runden Brillengläser angesehen, ›daß Peter Liekdoorn bei seinen Lebzeiten mit diesem Daumen allzuviele Hühneraugen hätte operieren können!‹
Weiteres war aus ihm nicht herauszubringen gewesen; aber übermorgen sollte mein Vater wieder zum Bürgermeister kommen. Der Finger war in den mit Spiritus gefüllten Glashafen getan und dieser, nachdem man ihn mit dem Gerichtspetschaft versiegelt hatte, in dem großen Aktenschrank verschlossen worden. – –
Nun, es wurde denn auch übermorgen; – langsam genug. – Um elf Uhr vormittags ging mein Vater aus dem Hause. Während meine Mutter und ich uns durch Putzen und Scheuern die Angst von der Seele wegzuarbeiten suchten, kam unsere alte Krautfrau zu uns in die Küche und erzählte, Peter Liekdoorn habe heute nacht in der Bürgermeisterei ans Fenster geklopft; denn er habe seinen Daumen wiederhaben wollen, der jetzt dort in dem großen Schrank verschlossen liege. ›Letzten Sonntag‹, sagte sie, ›haben die Diebe ihn über die Türschwelle dem Bürgermeister in das Haus geschoben, weil sie vor dem Gespenste keine Nacht mehr Ruhe hatten; aber heut vormittag ist groß Verhör, und dann kommt alles an den Tag; und hernach mögen alle Reu und Leid geben, die so ihre bösen Mäuler über unsern Herrn Ohrtmann haben laufen lassen! Gott soll mich bewahren, daß ich an so was nur gedacht hätte!‹
Ich seh das alte dumme Weib noch vor mir«, sagte unsere treffliche Wirtin, »wie sie das alles wie Kraut und Rüben durcheinanderwelschte; Gott weiß, wo sie es sich aufgesammelt hatte! Wir freuten uns nur, da sie endlich fort war und wir wieder, wie am Sonntag, hangend und bangend allein beieinander in der Stube saßen.
Da endlich hörten wir die Haustür gewaltsam aufreißen. ›Das ist Christian!‹ sagte meine Mutter. ›Was wird der wieder zu erzählen haben!‹ Aber es war unser Vater, dem freilich Christian mit seiner Rechentafel auf dem Fuße folgte.
›Nun‹, rief meine Mutter, ›haben sie gestanden? Sind die Diebe festgenommen?‹
Aber er schüttelte den Kopf und schwenkte, ganz außer Atem, ein beschriebenes Papier in seiner Hand. ›Mutter! Kinder!‹ rief er endlich, ›es ist lauter Dunst gewesen; nun wird alles wieder gut! Aber dem alten Hennings, dem Mann hätt ich die Füße küssen mögen! Und das, das hier – das kommt ins Wochenblatt!‹ Seine Augen glänzten, seine Stimme bebte; uns war, als ob er alles durcheinanderspräche. Aber dann gab er mir das Blatt und sagte: ›Lies, Nane; aber laut und deutlich! Siehst du, des Bürgermeisters Name steht darunter, und das Siegel ist auch dabeigedrückt!‹
Und dann las ich, und noch heute weiß ich jedes Wort; denn uns allen war, als ob eine Himmelsbotschaft in unser dunkles Haus gekommen wäre. ›Wenn‹ – so stand da – ›einer unserer geachtetsten Mitbürger, der Brauer Josias Christian Ohrtmann, durch unbedachte Zungen in Verdacht geraten, als ob der von dem Körper des hieselbst hingerichteten armen Sünders abhanden gekommene Finger sich in seinem Biere vorgefunden, so wird zur Steuer der Wahrheit, und um unverdienten Schaden von einem ehrenwerten Manne abzuwenden, hiedurch bekanntgegeben, daß nach sorgsamer, durch den hiesigen Herrn Apotheker Hennings unter Zuziehung der Behörde vorgenommener Untersuchung der Verdacht erregende Gegenstand sich lediglich als eine verhärtete Gest-oder Hefemasse herausgestellet, welche durch besondere Zufälligkeiten die Form eines menschlichen Daumens angenommen hatte.‹
So lautete der Inhalt Wort für Wort«,
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