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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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passierte etwas anderes, das ich gleichfalls nie vergessen werde. Nein, die Kundschaft, wie wir sie früher hatten, kam nicht wieder, obgleich es an redlichem Willen im Hause und an Bemühungen gutherziger Freunde nicht gefehlt hat. Der alte Hennings, wenn die Bauern in seine Apotheke kamen, ließ nicht ab, ihnen die Geschichte von dem Gestfinger und die Güte des Ohrtmannschen Bieres zu verdeutschen; und zuweilen kam er selber mit einer so eroberten Bestellung angelaufen; aber Marx Sievers nebst seinem ganzen Dorfe hat niemals wieder unseren Hof betreten; vielleicht – ich hab das später mehr erfahren – weil er dem sich zu begegnen scheute, gegen den er sich im Unrecht wußte. – Die Geschichte wurde weit und breit bekannt; aber nur der arge Teil davon fand Glauben! Wenn auswärts Freunde unser Bier empfahlen, so hieß es jetzt wohl: ›Ohrtmann, Ohrtmann? Ist das nicht der Mann, der den Finger in seinem Biere hatte?‹ Und wurde dann auch der ganze Dunst ersichtlich aufgeklärt, es hieß am Ende doch: ›Man braucht ja eben nicht vor diese Tür zu gehen; es gibt ja andere noch, bei denen gutes Bier zu haben ist!‹
    Dergleichen kam uns oft genug zu Ohren. Ja, ein verkommener Winkelschreiber, ein Altersgenosse meines Vaters, wagte es sogar, ihm seine Hülfe anzubieten und zutraulich dabei zu äußern, die zwölf Wochenblattszeilchen hätten ihm wohl einen schönen Haufen Geld gekostet; aber das brauche man ja keinem auf die Nas’ zu binden.
    Es mochte nicht viel helfen, daß mein Vater den miserablen Kerl zur Tür hinauswarf; es wurde vielleicht nur um desto mehr geglaubt.
    ›Der sprach für viele!‹ sagte mein Vater, als er uns voll Entrüstung das erzählte. Sonst habe ich ihn niemals klagen hören; er war nur stiller, als er sonst gewesen, und es kam mir oft, als ob sein heißes Dankgebet ihm auf die Seele drücke. Dagegen bemerkte ich, daß er, zumal an Markttagen, jetzt öfterer aus dem Brauhaus auf den Weg hinaustrat; nicht als ob dort die Wagen nach dem roten Dach jetzt weniger als sonst vorbeigefahren wären; aber es war, als triebe ihn etwas hinaus, daß er sie alle zählen müsse.
    Meine Mutter vermochte das Unglück und die Entbehrungen, die es mit sich brachte, nicht immer so geduldig zu ertragen; das fühlten nicht bloß wir Kinder; sie konnte mitunter sogar dahin geraten, ihrem guten Manne die Schuld des ganzen Unheils beizumessen; und immer kam sie dann auf die schon früher getadelte Nachsicht, womit er das abergläubische Getue seines Knechts geduldet habe. ›Ich laß es mir nicht nehmen‹, sagte sie eines Abends, ›hättest du ihm nur das Salzen und Bekreuzen ausgetrieben, die Leute wären nimmer auf das Stück gekommen, den dummen Finger in unserm Bier zu suchen! Aber konnte er den einen Hokuspokus machen, warum denn nicht den anderen? Und warum nicht heute oder morgen wieder einen andern?‹
    Für gewöhnlich ging Derartiges, da mein Vater seine kleine heftige Frau immer bald wieder ins gleiche brachte, ohne weitere Spur vorüber. Das aber sollte diesmal nicht so sein. Es war eben vor dem Abendessen, und beide standen schon an ihren Stühlen, wobei sie die Stubentür im Rücken hatten; nur ich hatte gesehen, wie diese sich auftat und Lorenz, im Begriff hereinzutreten, plötzlich stehenblieb, eben als meine Mutter jenen wohl nicht ganz unbegründeten Vorwurf aussprach. Bevor ich mich in meinem Schrecken noch besann, hatte schon die Tür sich wieder leis geschlossen; dann kamen die Kinder und die Magd herein; aber Lorenz mußte erst durch Christian gerufen werden.
    Noch heute danke ich meinem Schöpfer, daß ich damals meinen Eltern nichts verraten habe; denn von nun an war Lorenz wie verwandelt: vor den Gebinden, die im Hausflur lagen, oder hinten vor seiner Braupfanne, oder auch nur vor einem Tisch oder Stuhl im Hause konnte er lange mit starren Augen stehenbleiben; ging er aber fort, so sah ich mehrmals, wie er mit der Faust sich über beide Augen fuhr.
    ›Was mag denn Lorenz fehlen?‹ hörte ich eines Abends meine Mutter fragen, die sonst dem alten Manne herzlich gut war. ›Er geht ja umher, als ob er über schwere Dinge brüte.‹
    Mein Vater schüttelte den Kopf. ›Ich denke, nichts weiter als uns andern auch; du weißt, er trägt an unseren Sorgen allzeit schwerer als an seinen eigenen.‹
    Aber am anderen Morgen trat Lorenz vor ihn hin und bat um seinen Abschied; er wisse einen jungen Menschen, der sogleich an seine Stelle treten könne. Mein Vater äußerte nachher, ihm sei

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