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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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kopfschüttelnd zurück. ›Ich kann das nicht begreifen‹, sagte sie.
    Herr Abel stand auf. Es habe keine Eile, er solle jetzt noch weiter nach dem Norden; aber um drei Wochen werde er auf hier zurückkommen; er könne ja auch dann seine Geschäfte mit Herrn Ohrtmann regulieren.
    Ich weiß nicht weshalb; aber als der Mann das sagte, mir war, als wisse ich jetzt alles, was noch kommen müsse.
    – – Ein paar Minuten nachdem er fortgegangen war, trat mein Vater in das Zimmer.
    ›Wo bleibst du denn, Josias!‹ rief meine Mutter. ›Herr Abel ist eben dagewesen; wir haben dich durchs ganze Haus gerufen!‹
    ›Ich weiß das‹, erwiderte er – und es war gar nicht, als ob das seine Stimme wäre –, ›ich habe es gehört; ich hatte den Mann auch kommen sehen.‹
    Meine Mutter starrte ihn an. ›Was sagst du, Josias? – Mein Gott, und wie du aussiehst!‹
    Ich bemerkte das nun auch; sein Haar und seine Kleider waren ganz bedeckt mit Staub und Spinngeweben.
    ›So sprich doch!‹ rief meine Mutter wieder. ›Um Gottes willen, Josias, was ist geschehen? Wo bist du gewesen?‹
    Da riß mein Vater uns mit beiden Armen an sich und drückte uns heftig gegen seine Brust. ›Mutter! – Nane!‹ – er sprach leise aber hastig, als ob er es von sich stoßen müsse – ›ich hatte mich versteckt! – Es war das erste Mal, daß ich nicht zahlen konnte!‹ – – Er wollte weitersprechen; aber der starke Mann brach in lautes Schluchzen aus.
    Meine Mutter hatte ihre Arme sanft um seinen Hals gelegt; mein junger Kopf aber war vor Schrecken über das Gehörte ganz von Sinnen; ich klammerte mich mit beiden Händen an meines Vaters Arm, denn mir war, als müßten wir jetzt alle fort ins Elend wandern. Da hörte ich seine Stimme und fühlte seine Hand auf meinem Kopfe. ›Laß, Nane!‹ sagte er ruhig; ›hole mir den andern Rock, mein Kind! Herr Abel wird noch in der Stadt sein, ich will jetzt zu ihm gehen.‹
    Wie betäubt tat ich, was er mir befohlen hatte; dann lief ich in die Küche und setzte mich in einen dunkeln Winkel. Erst als ich meines Vaters Schritte über den Hausflur und dann gleich danach die Türschelle läuten hörte, überfiel mich das Leid um ihn, und ich weinte mich von Herzen satt.
    – – Wie die Verhandlung mit Herrn Abel ausgefallen, habe ich nicht erfahren; ich weiß nur, daß wenige Tage darauf die beiden Meerschaumköpfe von der Wand verschwunden waren und daß ich unseren Vater niemals wieder weder seine Abend- noch seine Sonntagspfeife habe rauchen sehen. Den Kalender mit dem rot angestrichenen Festtage bewahrte ich noch lange unter meinen alten Sachen; gefeiert ist der Tag nicht worden, aber wir konnten ihn dessenungeachtet nicht vergessen.«
    Die Erzählerin verschloß nach diesen Worten ihre Lippen, und ihre Augen blickten seitwärts, als sei das nicht für fremde Ohren, was jetzt noch aus der Vergangenheit an ihr vorüberziehen mochte.
    Ein junger, eifriger Prediger, ihr Neffe, welcher mit in der Gesellschaft war, hatte schon zuvor durch ein vergebliches »Aber liebe Tante!« zu erkennen gegeben, wie notwendig er seinen Beispruch zu dieser Geschichte halte; jetzt begann er mit merklicher Unruhe auf seinem Stuhl zu rucken. Aber unsere Wirtin war selber eine zu unerschütterliche Christin und fühlte zu genau, wo er hinauswollte, als daß sie seinem drohenden Einwande nicht sogleich die Spitze abgebrochen hätte. »Lieber Hieronymus«, sagte sie, »es ist wohl niemand hier, der an Gottes Barmherzigkeit einen Zweifel hegen möchte, obwohl – die Wahrheit zu sagen – deine Großeltern in ihrem langen Leben wenig genug davon erfahren haben; aber wir wissen ja auch, daß sie oftmals im Verborgenen ihre Ader fließen läßt, um dann am rechten Orte desto segensreicher aufzusprudeln. Freilich, der Segen kam zumeist auf ihre Kinder; und auch ich mußte später, als meine kleine Schwester groß und kräftig geworden war, bei fremden Leuten dienen; aber dadurch« – und sie warf einen unaussprechlich herzlichen Blick auf ihren alten neben ihr sitzenden Mann – »kam ich zu dir, mein Vater, und die fremden Leute wurden meine eigenen! Und wie es dann gekommen, daß mein Bruder, der wilde Christian, ein stattlicher Bürger und gar der zweitgrößte Brauer in unserm Lande wurde – um das zu erzählen, bin ich eine viel zu gehorsame Ehefrau.«
    Der Neffe wollte wieder etwas sagen, aber seine Tante ließ ihn wieder nicht zu Worte kommen. »Gewiß, lieber Hieronymus«, sagte sie, »deine seligen Großeltern

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