Werke
gewesen, als ob sein altes Erbhaus über ihm zusammenbräche. Doch Lorenz wollte sich nicht halten lassen.
›Ich habe mich mit meinem Gott beraten.‹ Auf alle Fragen hatte er nur diese eine Antwort; er mochte fürchten, sonst nicht stark genug zu sein.
Und so ging er denn, nachdem er über ein Menschenalter dagewesen war; wie er sagte, um einer verwitweten Schwester, die in einem entfernten Dorfe wohnte, in ihrer kleinen Bauernwirtschaft beizustehen. – Aber er hatte die Trennung doch nicht überwinden können; durch Aufkäufer, die im Lande herumreisten, kamen bald wunderliche Nachrichten von dorther; und kurz vor Weihnachten mußten wir erfahren, daß unser alter Lorenz als Geisteskranker in die Landesanstalt aufgenommen sei.
Das waren trübe Festtage; einen Weihnachtsbaum ohne Lorenz hatten wir Kinder uns ohnehin nicht denken können. Ich allein wußte, weshalb er das Haus verlassen hatte, in dem allein noch seine Heimat war, und ich trug schwer daran; denn sein Opfer war umsonst gewesen. Mein Vater plagte sich mit dem jungen Knecht, aber die Kundschaft besserte sich nicht; es hatte nicht mehr geholfen als die tapferen Kämpfe, die unser Christian unermüdlich für die gute Sache ausfocht.
So ging der Winter zu Ende, und so kam der neue Sommer und endlich auch die Erntezeit. Nur für uns war sie es nicht.
Wir hatten schon die letzten Tage im August. Unsere zwei Stock hohe Außendiele kam mir so groß und einsam vor, seitdem nicht jeden Augenblick die Haustürglocke läutete; dennoch konnte ich es nicht lassen, wenn die altgewohnte Verkaufszeit heranrückte, mich dort aufzuhalten, um meistens müßig durchs Fenster auf die Straße hinauszustarren. – So stand ich auch eines Vormittags; es waren kalte trübe Tage eingefallen, und von dem Lindenbaum, der hier vor dem Fenster stand, wehten schon einzelne gelbe Blätter. Ich merkte wohl, daß mein Vater neben mich getreten war; aber ich rührte mich nicht; wir sahen beide, wie die Blätter niederwehten, und mochten beide wohl dieselben Gedanken haben.
Da ging draußen ein halb bäuerlich gekleideter Mann mit einem sogenannten Quäkerhut vorüber; er schien ein Fremder, aber dennoch war mir, als müßte ich ihn schon gesehen haben. Bevor ich mich jedoch darüber noch besinnen konnte, bemerkte ich eine hastige Bewegung an meinem Vater, und als ich aufblickte, sah ich, daß er den Mund fest geschlossen hatte; aber ich sah auch, wie. seine Lippen zitterten. ›Vater‹, sagte ich, ›fehlt dir etwas? Wer war doch der Mann?‹
Aber er drückte nur heftig meine Hand und ging dann, ohne ein Wort zu sagen, nach dem Hof hinaus. Es war, als wenn uns alles jetzt zum Schrecken werden sollte.
Endlich schlug es wieder einmal elf auf unserer Dielenuhr, und ich ging in die Stube und setzte mich an meine Näharbeit. Eben, als meine Mutter aus der Küche hereintrat, läutete es von der Haustür, und als ich durchs Guckfenster auf den Flur hinaussah, da war es der Fremde von vorhin. Ich erkannte ihn jetzt wohl; es war ein Hopfenhändler aus Franken, der um diese Zeit zu kommen pflegte, um neue Bestellungen entgegenzunehmen und sein Geld für die alte Ware einzukassieren; er hatte vor zwei Jahren sogar einen Abend bei uns zugebracht. ›Geh‹, sagte meine Mutter, ›hole deinen Vater und sag ihm, daß Herr Abel da sei.‹
– – Die alte Dame machte eine Pause. »Ich glaube«, sagte sie dann, »dem Angedenken meines seligen Vaters nicht zu nahe zu treten, wenn ich auch dies wenige noch erzähle; denn wo wäre der Mensch, der der Not des Lebens in jedem Augenblicke standgehalten hätte! –
Herr Abel hatte sich gesetzt; ich ging ins Brauhaus, weil ich dachte, daß mein Vater dort beschäftigt sei; aber er war nicht dort. Auf dem Rückwege begegnete mir der neue Knecht: auch er wußte nichts; er war im Keller bei der Gerste gewesen; vielleicht, meinte er, sei der Herr hinten auf den Weg hinausgetreten. Ich kehrte deshalb noch einmal wieder um; aber da ich auch dort ihn nicht gewahren konnte, lief ich ins Haus zurück. Ich suchte im Pesel und in allen Stuben, stieg halb die Bodentreppe hinauf und rief so laut ich konnte: ›Vater! Vater!‹ Aber es war alles umsonst.
›Vater muß ausgegangen sein‹, sagte ich, als ich wieder in die Stube trat.
›Ei was!‹ rief meine Mutter. ›Dort hängt ja sein Hut am Türhaken; ihr Kinder versteht nur nicht zu suchen!‹
Damit ging sie zur Stube hinaus; und ich hörte sie im Hause und vom Hof her rufen. Aber auch sie kam
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