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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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erklangen die heiteren Fiorituren des unsterblichen Meisters und füllten das Zimmer wie mit Vogelsang und Sommerspiel der Lüfte. »Bravo, junger Freund!« rief der Pfarrer, der wie alle andern, die Frau Forstjunkerin nicht ausgeschlossen, mit entzücktem Angesicht gelauscht hatte ; »das hat rote Wangen; wir haben kaum gemerkt, wie Sie uns durch die Dämmerung hindurchgespielt haben. Nun aber Licht! Die Schneiderstunde ist zu Ende!«
    Die zehnjährige Käthe lief hinaus; Anna aber, als wollte sie sich zu ihm emporstrecken, hatte sich dicht an die Schulter des kräftigen Vaters gestellt und blickte mit aufmerkendem Lächeln zu ihm auf; es war recht sichtbar, daß die beiden eines Blutes waren.
    Ein freundlicher Verkehr, dem es bald an einer verschwiegenen Innigkeit nicht fehlte, hatte zwischen Rudolf und dem blonden Mädchen schon vom ersten Tage an begonnen, wo noch das blasse Antlitz des Genesenden die Schonung der Gesunden anzusprechen schien; durch die scheue Jungfräulichkeit des Mädchens war wie aus der Knospe etwas von jener Mütterlichkeit hervorgebrochen, in deren Obhut auch der Mann am sichersten von Leid und Wunden ausruht. Wenn aus der überwundenen Nacht noch ein Schatten ihn bedrängen wollte, wenn vor der nächsten Zukunft eine Scheu ihn anfiel, dann suchte er unwillkürlich ihre Nähe, und wo er sie immer antreffen mochte, im Garten oder in der Küche, die Welt erschien ihm heller, wenn er auch nur das Regen ihrer fleißigen Hände sehen konnte. Oft aber, wenn sie eben beisammen waren, hatten schon die ahnenden Augen des Mädchens ihn gestreift, und bald mit stillen, bald mit neckenden Worten ließ sie ihm keine Ruhe, bis er im frischen Tageslichte vor ihr stand.
    Frau von Schlitz hatte anfangs beobachtet; dann hatte sie die jungen Leute sich selber überlassen. Gewiß, wenn irgend eine, so war dies die Frau, wie sie der Doktor ihrem Sohn verordnet hatte!
    Übrigens war Rudolf nicht der einzige junge Mann, welcher sich eines Verkehres mit dem Mädchen zu erfreuen hatte: ein entfernter Vetter, ein hübscher Mann mit treuherzigen braunen Augen, der hier im Hause »Bernhard« genannt wurde und sich mit Anna duzte, kam an den Sonntagnachmittagen von seinem nicht allzu fernen Hof herübergeritten. Die beiden jungen Männer hatten sich bald als Schulkameraden aus den unteren Klassen des Gymnasiums erkannt, und Rudolf fand, je kräftiger er wurde, an Bernhards frischem Wesen immer mehr Gefallen. Desto geringeres Glück machte dieser bei Rudolfs Mutter, die ihn sichtlich, freilich ohne ihn dadurch zu beirren, von oben herab behandelte; denn nur ihrem Auge war es nicht entgangen, daß auch der junge Hofbesitzer der blonden Pfarrerstochter eine ebenso stille als geflissentliche Verehrung widmete.
    Eines Nachmittags war Bernhard zu Wagen und selbander angelangt; seine Schwester Julie, die ihm den Haushalt führte, saß an seiner Seite. »Das freut mich!« rief der Pastor, als er das frische Mädchen gleich darauf der Frau von Schlitz entgegenführte; »dieses Prachtkind mußten Sie noch kennenlernen!«
    Aber die Dame blickte mit ziemlich kühlen Augen auf das »Prachtkind«, deren Antlitz nur zu sehr die Züge ihres Bruders zeigte; und die stürmische Begrüßung der von Anna herbeigeholten Kinder kam zur rechten Zeit.
    Eine Stunde später, da sie mit der Pastorin am Fenster saß, sah Frau von Schlitz die beiden jungen Paare, Bernhard mit Anna und hinter diesen Rudolf mit der braunen Julie, auf einem Feldwege dem nahen Walde zuschreiten. Die Pfarrfrau, die sich heute ihre Freischützphantasien gönnte, hatte den noch einmal rückschauenden Mädchen lebhaft zugenickt. »Nicht wahr, Fernande«, wandte sie sich jetzt an ihre Jugendfreundin, »ich sage immer: ›Ännchen und Agathe‹. Nun hat das Ännchen gar einen Max zur Seite, um ihm die Grillen wegzuplaudern!«
    Die Angeredete nickte nur, ohne die Augen von der Gruppe draußen abzuwenden, welche jetzt durch eine Biegung des Weges ihrem Blick entzogen wurde; sie wußte selbst nicht, war es Zorn oder ein Gefühl der Demütigung, das sie bedrängte; aber – gewiß, die Schwester war heute nicht ohne Absicht von dem Bruder mitgenommen worden!
    – – Es kam doch anders, als ihr Scharfsinn, vielleicht auch, als Bernhard selber es gedacht hatte. Zum ersten Male sah Rudolf sich in Annas Gegenwart zu einer anderen gezwungen, und wiederum, als ob sich das von selbst verstehe, hatte sich zu ihr ein junger Mann gesellt, der nicht er selber war. Schweigend folgte er

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