Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
Vom Netzwerk:
Spezialist, sondern nur Ihr Hausarzt«, erwiderte der alte Herr; »aber nach dem Schreiben des dirigierenden Arztes – auch ist hier eine äußere Ursache unverkennbar: Ihr Rudolf hatte erst eben die Akademie verlassen; die Verantwortlichkeit des Amtes war bei seiner zarten Organisation – denn die hat er trotz seines kräftigen Baues – zu unvermittelt über ihn gekommen; ich entsinne mich ähnlicher Fälle aus meiner Praxis.«
    Die Frau Forstjunkerin von Schlitz – auf dieser Titelstufe hatte ihr früh verstorbener Gemahl die Dame mit ihrem einzigen Kinde zurückgelassen – blickte eine Weile vor sich hin. »Ja, ja, Doktor«, sagte sie dann, und ihr Ton war nicht ohne Bitterkeit, »des Herrn Grafen Exzellenz, dem mein Sohn so glücklich ist zu dienen – je mehr ihm Gold und Ehren zufließen, desto unersättlicher verlangt er auch die letzte Kraft des Menschen, und seine Forstbeamten – Wege- und Brückenbauen ist noch das mindeste, was sie außer ihrem Fach verstehen sollen. Aber – die ähnlichen Fälle, deren Sie erwähnten, wie wurde es damit?«
    »Es wurde dann nichts weiter«, erwiderte der Arzt; »sie waren beide nur vorübergehend.«
    »Und die Verhältnisse waren ähnlich?«
    »Ganz ähnlich; nur daß dort nicht ein Amt, sondern in beiden Fällen ein verwickeltes Kaufgeschäft auf junge, ungeübte Schultern fiel. Eines freilich, was ich nicht gering anschlagen möchte, ja was wohl erst die Heilung sicherstellte, war dort anders.«
    »Und was war dieses eine?« unterbrach die Dame, die ihm die Worte von den Lippen las.
    »Es ist nicht eben unerreichbar«, sagte der alte Herr lächelnd; »von meinen dermaligen Patienten war der eine eben verheiratet, der andere heiratete gleich darauf.«
    »Verheiratet!« – fast wie eine Enttäuschung klang dieser Ausruf – »Sie sagen das so leichthin, Herr Doktor; aber ich habe bei meinem Sohne kaum jemals eine Neigung noch entdecken können; – freilich einmal in den Ferien bei ihrem Liebhabertheater – Sie entsinnen sich wohl der schlanken, schwarzäugigen Baronesse? Sie hatte ihn einmal, da er in der Probe steckenblieb, so boshaft ausgelacht!«
    Der Doktor streckte abwehrend beide Hände aus: »Nein, nein, Frau Forstjunker; solche Damen, erste Liebhaberinnen auf der Bühne, Amazonen zu Pferde, die sind hier nicht verwendbar. Ein deutsches Hausfrauchen, heiter und verständig; nur keine Heroine!«
    Frau von Schlitz schwieg. Während der Doktor dieses Thema eingehender behandelte, stand die Gestalt eines blonden Mädchens vor ihrem inneren Auge: aus der geißblattumrankten Gartenpforte eines ländlichen Pfarrhauses war sie ihr entgegengetreten; so hoch fast wie sie selber, und doch als ob sie mit den vertrauenden Augen zu der älteren Frau emporblicke; dann wieder sah sie das Mädchen in der engen, aber sauber gehaltenen Kammer, wie sie mit ihren kleinen, festen Händen neben dem eigenen Bette ein halb gelähmtes Brüderchen in die Kissen packte und nach fröhlichem Gutenachtkuß gleich wieder helfend zu der Mutter in die Küche eilte; und wiederum – vor einen Kinderwagen hatte das schlanke Mädchen sich gespannt; der Wagen war voll besetzt, und es ging durch den tiefen Sand eines Feldweges; mitunter entfuhr ein lachendes »Oha!« den frischen Lippen, und sie mußte stillehalten; die gelösten Haare aus dem geröteten Antlitz schüttelnd, kniete sie plaudernd zu der kleinen Fahrgesellschaft nieder; aber überall mit ihr waren die schönen, gläubigen Augen und ihre reine, heitere Stimme.
    Der Doktor wollte sich zum Gehen rüsten; doch die Frau vom Hause, die eben aus ihrem Sinnen aufsah, legte die Hand auf seinen Arm. »Nur noch eine Frage, lieber Freund; aber antworten Sie mit Bedacht! – Würden Sie einem so Geheilten Ihre Tochter zur Ehe geben?«
    Der Doktor stutzte einen Augenblick. »Der Fall, gnädige Frau«, sagte er dann, »müßte wenigstens möglich sein, um Ihnen hierauf antworten zu können ; Sie wissen, daß ich keine Tochter habe.«
    Die Dame richtete sich mit einer entschlossenen Bewegung in ihrer ganzen Gestalt vom Sessel auf. »N’importe!« rief sie, die geballte Hand gegen die Tischplatte stemmend. »Ich habe nur den Sohn und sonst nichts auf der Welt!«
    Der Arzt blickte sie fragend an, aber nur einen Augenblick; jene Worte lagen jenseit der Grenze seiner Pflicht; er empfahl nur noch, die letzten Wochen des dem Sohne gewährten Urlaubs zu einer Herbstfrische auf dem Lande zu benutzen.
    Frau von Schlitz nickte. »Ich dachte eben daran«,

Weitere Kostenlose Bücher