Werke
Doch – kein Blut! Frei durch den weiten Himmel, ein Gruß ins neue Leben, sollte diese Kugel fliegen! Und sich niederbeugend, faßte er mit raschem Griff den Schaft der Büchse.
Aber ihm im Rücken, am Rand der Lichtung, war eben eine zitternde Frauengestalt erschienen. Wie ohnmächtig hatte sie dagestanden; jetzt gellte ihr Schrei ihm in den Ohren, und während junge Arme sich um ihn warfen, fuhr mit dumpfem Krach die Kugel aus dem Rohr.
Sie schien es nicht zu merken; aber sie bog sich von ihm ab, sie stemmte ihre Hände gegen seine Schultern und sah ihn mit fast wilden Augen an.
Da schrie er auf: »Du blutest! Du bist getroffen, Anna!«
Ihre Hände wehrten schwach den seinen, die an ihrem Nacken suchten. »Nein, nur die Dornen – – ich fühle nichts – – aber du!« – es war, als hätten diese Worte eine Felsenlast zurückgestoßen – »du lebst!« schrie sie; »du lebst!« scholl es noch einmal aus der ganzen Fülle ihrer Brust; dann brach sie in seinen Armen zusammen.
Drei Tage waren seitdem verflossen; unter dem Dach des Försterhauses lag Anna in den weißen Linnen ihres Bettes. Keine Kugel hatte sie verletzt; auch nicht die Wunden, die die Dornen ihr gerissen – der jähe Strahl des schon verloren gegebenen Glückes war es gewesen, der sie hingeworfen hatte. Und auch nicht um dies kräftige Leben selber, vielmehr nur um ein zweites, das in seinem Schoß dem Licht entgegenkeimte, hatte die Natur ihr stilles Ringen zu bestehen. Aber schon blickten die Augen der jungen Mutter froh und siegreich um sich, während sie im Grund der Seele nur ein Erinnern jenes Morgens festhielt; nur wie die Arme ihres Mannes sie vom Boden hoben und wie dann, schon im Erlöschen ihrer Sinne, sich ihr Haupt an seiner Brust zur Ruhe legte.
In den Nächten, die dann folgten, hatte Rudolf in seltenem Wechsel mit der Mutter, die jetzt selbst der Ruhe bedurfte, neben ihr gewacht und ihren Schlaf behütet. Der Tag fand ihn im Forste, an den Sümpfen; dann wieder an seinem Arbeitstische oder Bericht erstattend und seine Pläne klar entwickelnd bei dem Grafen; noch niemals hatte er das Vollmaß seiner Kräfte so empfunden.
Jetzt kniete er in Demut an dem Bette seines Weibes, die seine beiden Hände in den ihren hielt; er hatte lange zu ihr gesprochen, und sie hatte schweigend zugehört.
Nun, als auch er schwieg, bewegte sie leis verneinend ihren Kopf. »Gesündigt? Du an mir gesündigt?« frug sie, seine letzten Worte wiederholend. Und als er sprechen wollte, entzog sie ihm die eine ihrer Hände und legte sie auf seinen Mund: »Ich weiß es besser, Rudolf: du hattest mich zu lieb, du hast mich nicht verlieren können! Nein, sage nur nichts anderes; du hast noch immer nicht gewußt, daß du mich nicht verlieren kannst!« Und da er widersprechen wollte, richtete sie sich auf, und seinen Mund mit ihren Küssen schließend, schlang sie die Arme um seinen Hals und flüsterte wie leidenschaftliches Geheimnis ihm ins Ohr: »Ich glaube, Rudolf, aber Gott wird es verhüten – ich könnte noch eine größere Sünde um dich tun!«
Dann, während er, berauscht und wie von Schuld befreit, dies Geständnis seines schönen Weibes noch in seiner Seele wog, hatte diese, von leichter Schwäche überkommen, sich zurückgelegt; nur ihr Antlitz wandte sich nach dem des Mannes, und eines alten Reims gedenkend und wie in seliger Stille ihre Augen in den seinen lassend, sprach sie leise und doch mit dem lichten Vollklang ihrer Stimme:
Was Liebe nur gefehlet,
Das bleibt wohl ungezählet;
Das ist uns nicht gefehlt.
Dann wurde es stille zwischen ihnen; es bedurfte keiner Worte mehr.
– – Als Rudolf bald darauf durch Geschäfte abgerufen wurde, trat statt seiner die Mutter in das Zimmer. Die Falte, welche der Schrecken jenes Morgens ihrem Antlitz eingegraben hatte, war nicht daraus verschwunden; aber sie schien nur einen früheren Zug der Härte hier verdrängt zu haben, der selbst den Sohn ihr nie völlig hatte nahekommen lassen. Mit aufmerksamen, ja fürsorglichen Blicken betrachtete sie die junge Frau, die in ruhigem Genügen, mit gefalteten Händen vor sich hin sah. Die Entschlossenheit derselben, welche selbst sich gegen sie zu wenden keine Scheu getragen hatte, mochte die Achtung der rücksichtslosen Frau gewonnen, zugleich aber der Umstand, daß die Starke nun selbst hülflos ihrer Hand bedurfte, den daneben aufgestiegenen Groll versöhnt haben.
Behutsam trat sie näher. »Du lächelst, Anna«, sagte sie, indem sie sich zu
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