Werke
hat dich also dein gerühmter Scharfblick doch einmal im Stich gelassen!«
»Spotte nur, Papa; aber es dürfte dir leicht ebenso ergangen sein!«
Der Alte lachte: »Mir? Das glaub ich; aber ich bin auch nicht mein Tochtermann! Nun aber, was hat es denn gegeben?«
Der Graf blieb stehen: »Du mußt dir schon an einem ›on dit‹ genügen lassen! Also: das Schießen zählt eben nicht zu den Künsten des Herrn Oberförsters gleichwohl, so wird gemunkelt – es war damals, um die Zeit deiner Abreise –, soll er doch sein junges Weib getroffen haben.«
»Der Tausend!« sagte wieder der alte Herr. »Und dann?«
»Dann? Ja, das schlägt in dein Fach, Papa! Es gibt ja Leute, die erst tapfer werden, wenn sie Blut gesehen haben; jedenfalls – von da ab an datiert die neue Ära. Mir ist nur bange«, setzte er hinzu, »der Staat wird mir den Mann nicht allzulange lassen.«
»Mein Lieber«, erwiderte der General, »ich nehme allen Spott zurück und will nur hoffen, daß die junge Frau – – –«
»Die Frau, oh, die ist schöner und heiterer als je; am Ende ist auch dieser Schuß nur so ein Stück moderner Sagenbildung. Übrigens glückliche Menschen das, Papa! Erst am vergangenen Montag habe ich mit dem Schwiegervater, dem trefflichen Pastor von da drüben, ihnen den ersten Jungen aus der Taufe gehoben. Selbst mit der alten Gnädigen von Schlitz verstehen sie zu leben, was meinem Schulgenossen, dem Walzerkomponisten, nicht so ganz gelungen sein soll; aber – die beiden Jungen sind auch bessere Musikanten.«
Der alte Herr nickte freundlich lächelnd mit seinem weißen Kopfe; dann gingen beide weiter.
– Niemand hatte dies Gespräch belauscht, wenn nicht doch der Buchfinke, der gleich danach über der Tür des Forsthauses in dem jungen Grün der Eiche seinen hellen Sang erhob.
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Zur Chronik von Grieshuus
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Zu meinen Jugendfreuden in der Heimat, wo uns die alte Gelehrtenschule nicht zu sehr den Geist verschnürte, gehörten die Wanderungen aus der Stadt ins Freie. Zwar ging es nicht, wie anderswo, durch Feld und Wald, auch selten nur durch Feld und Busch; denn nach Süden hin dehnte sich die Marsch mit ihrer weiten, von Wassergräben durchschnittenen Weidefläche, während nordwärts, zu Osten der nordfriesischen Küste, die sandige Geest aufsteigt, ohne Wälder oder Bäume, nur selten mit Schwarz- oder Weißdornbüschen auf den niedrigen Wällen, welche die einzelnen Felder voneinander scheiden. Gleichwohl fand sich für die Knabenseele Augenweide und anregendes Geheimnis hier genug: über den Sand am Wegrande huschten die Schlupfwespen, flogen die schönen grünen oder kupferfarbigen Cicindelen; an den gelbschimmernden Abstürzen der Sandgruben, die man hie und da passierte, zeichneten sich die dunkeln Eingänge zu den unabreichbaren Nestern der Uferschwalbe; kletterte man hinauf und stampfte oben auf der dürren Bodendecke, so huschten, einer nach dem andern, die schlanken Vögel aus ihren Höhlen und wimmelten oft scharenweise in der Luft, während über ihnen aus nimmermüder Kehle der unablässige Gesang der Lerchen tönte.
Wohin es aber an freien Nachmittagen mich am stärksten lockte, was auch noch jetzt mit seinem weltfremden Zauber der rauschendste Laubwald mir nicht ersetzen kann, das war die Heide, welche derzeit nach dieser Richtung hin noch unabsehbare Strecken mit ihrem bräunlichen Steppenkraut bedeckte. Besonders eine Stelle, welche von der Stadt aus nur nach mehrstündigem Wandern zu erreichen war, die ich aber gleichwohl am liebsten und fast immer nur allein besucht habe; und deutlich steht es vor mir, wie ich sie zuerst entdeckte.
Ich saß schon eine Zeitlang auf den Bänken unserer Prima, als ein stürmischer Oktobernachmittag mit seiner nordischen Sagenstimmung mich herausgelockt hatte; kein Tier ließ sich sehen, der feine Sand flog in Wolken vor mir auf; nur einmal huschte ein grauer Vogel über den Weg und verschwand in einer Ritze des seitwärts laufenden Steinwalles. Nach ein paar Stunden erreichte ich ein kleines Dorf; es lag zwischen mageren abgeheimsten Feldern, der aus rohen Felsquadern aufgemauerte Turm der tiefliegenden Kirche überragte kaum die niedrigen, nur selten durch eine Rüster oder Pappel halb verdeckten Strohdächer. Jenseit derselben begegnete mir ein alter Mann mit einer Furke auf der Schulter. »Guten Tag!« rief ich durch den Wind ihm zu. »Guten Tag auch!« wiederholte der Alte wie im Widerhall; ich sah es nicht, aber ich glaubte es zu fühlen, wie er
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