Werke
»Es hat ihm nichts genützet.«
Aber mein Herz erzürnte sich wegen ihrer Trauer für den armen Knaben. »Gottes Barmherzigkeit«, sprach ich hart, »wird alles ihm ersetzen.«
Da sahen ihre dunklen Augen fast gottlos in die meinen, als wollten sie mich lehren, daß nur ein Weib, nicht unser Herrgott selber, was er verloren, ihm ersetzen könne. Mir aber erschien in diesem Augenblick das Schweigen der Todten so ungeheuer, daß auch mein Mund verstummte. Ich blickte auf das starre Angesicht des Knaben, und eine Falte zwischen den fest geschlossenen Augen, so der Tod nicht ausgeglättet, deuchte mir zu sagen, daß er noch itzo seinem Schöpfer zürne, der ihn also früh berufen habe.
Da hatte sich die Thür geöffnet, und unser Herr in voller schwedischer Obristenuniform, den Hut mit Federn auf dem Haupt, war eingetreten; aber seine Wangen waren schlaff und seine Augen müde; ihm folgeten die alte Matten und der Vetter mit der Tante Adelheid, welche der Tod des Knaben von ihrem Bette aufgetrieben hatte.
Nachdem der Oberst zwischen die Särge hineingegangen war, kam es auch draußen die Treppenstufen herauf, und die Leute, so auf dem Hofe gestanden hatten, fülleten nun den ganzen Saal, ja standen überdem noch draußen vor den offenen Thüren auf dem Gange.
Der Oberst hob seinen Hut vom Haupte. »Ich habe euch herbestellet«, begann er mühsam; »ich mußte es, denn mein Mund ist der letzte, der hier noch reden kann.
So höret es! Nicht ich und nicht mein Sohn, den mir der Herr genommen – der Greis hier in dem zweiten Sarge« und er legte seine Hand sanfte auf die des Todten – »ist euer Herr gewesen bis an sein Ende. Aber ihr sahet ihn nicht, und da er kam als ein Dienender, habet ihr ihn nicht erkannt; unstet und flüchtig blieb er nach dem Fluch der Schrift ein langes Leben durch; denn seinen Zwillingsbruder hatte er im jähen Zorn erschlagen. Aber nicht wie Kain den Abel: der Bruder hatte ihm sein Glück, sein junges Weib, getödtet; und da zwang er ihn zum Kampf und erschlug ihn.« Und der Oberst legte die Faust auf seine Brust, daß die Spangen an dem Degenriemen klirrten: »Beim ewigen Gott! Ich hätt ihn auch erschlagen!«
Nach einer Pause sprach er dann noch einmal: »Das habe ich euch sagen müssen, um der Ehre des Todten und um der Wahrheit willen. – Und nun, ihr Alten, die ihr mit ihm jung gewesen, sehet ihn noch einmal an, ob ihr den Junker Hinrich von Grieshaus erkennen möchtet! Und fürchtet euch nicht, denn in seinem Angesicht ist Frieden.«
Da löste sich eine Reihe alter Leute aus dem Haufen, und sie traten langsam, gar einige auf Krücken oder von einem Kinde geführet, zu dem Sarge und blickten gierig und doch mit Scheu in des Todten Angesicht, das auf all ihr Schauen keine Miene regete. Bald aber erhob sich eine oder die andere Hand und strich liebkosend über das Leichenhemde oder gar an die Wange des Leichnams selber, und ich hörete: »Ach ja, der Junker! Unser Junker Hinrich!« Eine Stimme aber rief laut: »Mein Herr! mein guter Herr! Nun hast du deine Bärbe wieder!« Das war der alte Hans Christoph aus dem Dorfe.
Der Oberst hatte sich zu seinem Sohn gewendet; er faßte das schöne todte Haupt in seine Hände und küßte es zu vielen Malen. »Rolf«, sprach er leise; »mein Kind! mein Kind! Vor den Wölfen hat er dich bewahren können; der Wille Gottes ist für ihn zu stark gewesen!«
Die alte Matten stand auf ihren Stock gelehnet und horchete und hielt die Hand ans Ohr und nickte dann, als ob nun alles gut sei. Es war eine rechte Todtenstille geworden, die alten Leute lagen schweigend am Sarge ihres alten Herrn.
»Und nun gehet hinaus«, sprach der Oberst wieder, »und lasset mich ein Weilchen noch bei unseren Todten; dann wollen wir die Letzten ihres Stammes in der Gruft zur Ruhe setzen.«
Abel mit ihrem dunkeln und doch bleichen Antlitz stand zu Häupten an des Junkers Sarge; als auch sie hinaus wollte, faßte der Oberst ihre Hand: »Nein, bleibe, Kind; und auch Er, Magister; denn die Stütze meines Lebens ist gefallen.«
Die Todten waren beigesetzet, und als hernach die kupfernen Kisten kamen, in welche ihre Särge eingesenket wurden, da ließ der Oberst die Kapellengruft vermauern, wie sie noch itzo ist. Ihn selbst aber hatte die Sippe seines Weibes vor Gericht gezogen; denn es war unerweisbar, wer zuerst gestorben, ob der Junker Hinrich, ob sein Enkel Rolf; war es der letztere, so hatte dessen Vater kein Erbrecht, weder an Grieshuus noch an den Meierhof. Da es
Weitere Kostenlose Bücher