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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Stamm gewachsen; doch« – und er winkte huldvoll mit der Hand – »tanzet jetzt weiter und erfreuet unsere Schönen durch Eure bonas artes! Ihr sollet mir später noch von Paris erzählen!«
    Und Rolf Lembeck flog wieder in den Tanz zurück, wie begehrend war sein roter Mund geöffnet, und seine Augen sprühten blaues Feuer, wie er nach der Schönsten im Saale ausschaute, und als er mit demütigem Neigen vor die Erwählte hintrat, schoß ein helles Freudenrot durch ihre Wangen.
    Der König, der einen Teil seiner Knabenjahre in Paris verbracht hatte, hörte an späteren Festen dann des Junkers heitere Geschichten, und als dieser das prächtige Prag verließ, nahm er den Ritterschlag von des höchsten Herrn Hand als einen weiteren Schmuck mit auf die Heimreise. Der König aber, als später die alte Oberhofmeisterin ihn darum angegangen, warum er dem jungen Holsten solche Ehre angetan, hatte lächelnd ihr erwidert: »Bonarum artium causa, Gräfin; er hat sie trefflich ausstudiert.«
     
    Rolf Lembeck war nicht aus eigenem Willen heimgegangen, sein Vater hatte ihn gerufen; er hatte um ein ehelich Gemahl für ihn geworben, »denn« – so hatte er gesagt – »der Vogel muß eingefangen werden, die Flüchten wachsen ihm zu geile«.
    Das Weib war die junge Witib eines holsteinischen Ritters Hans Pogwisch, der in den Kämpfen der Schauenburger Grafen wider König Waldemar vom Pferd gehauen worden; sie selbst aber war aus einem Nebenzweige der regierenden Schauenburger und mit Land und Sand nicht übel angesessen. Ihr Sinn stand wohl darauf, ihr leeres Witwenbett zu füllen; aber mit Augen sehen wollte sie zuvor den jugendlichen Ritter, nicht nochmals einen Ehegespons gleich dem Verstorbenen.
    Sie hatte während des Krieges sich auf ihren holsteinischen Hof zurückgezogen, und als ihr Eheherr ihr dort sterbenswund ins Haus gebracht war, saß sie in Geduld an seinem Lager. Der Scharfrichter aus der nächsten Stadt war dagewesen, hatte verbunden und mit dem Apolloniuspflaster zusammengeklebt; aber er hatte dabei den Kopf geschüttelt. Frau Wulfhild legte immer wieder nasse Binden auf; sie tat das wie ein anderes Geschäft, das sich von selbst verstand; die Ruhe auf ihrem schönen Antlitz aber war nicht die sichere Hoffnung auf Genesung des Verwundeten, denn es wurde heiterer, je bleicher Tag für Tag der Kranke wurde. Sie nickte und sprach unhörbar zu sich selber: ›Geduld, noch eine kurze Weile!‹ Denn der jetzt unmächtig vor ihr lag, er hatte in Trunk und Spiel und wüstem Lärm sein Leben hingebracht; um grobhaariger Dirnen willen hatte er offen sein schönes Weib verachtet.
    Nur über einzelne Worte hatte er jetzt mitunter noch Gewalt; auch die, so hoffte sie, sollten bald verstummen. Harrend saß sie in dem dumpfen Krankenzimmer und hörte gleichgültig auf die Ratten, die in Scharen über ihnen auf dem Boden rannten. Aber der Sterbende wollte Ruhe haben: er griff jäh nach seines Weibes Hand und wies mit kaum erhobenem Finger nach der Zimmerdecke; das Wort vermochte er nicht zu finden. Sie sah ihn ruhig an. »Soll ich sie töten?« frug sie; und nach einer Weile brachte er es zusammen; sein Kopf versuchte ein stummes Nicken. »Die Ratten!« stammelte er.
    Und sie ließ Rattenkraut vom Schäfer holen, nahm ein Teil davon und legte das übrige in ihre Truhe. Darauf wurde es still über dem Schlafgemach; die Ratten lagen im Todeskampfe zuckend in den Bodenwinkeln.
    Aber der wunde Mann begann an einem Morgen schier verständlicher zu reden, und seine Flüche wurden kräftiger; da erschrak sein Weib und fürchtete, das böse Leben mit dem Gesunden könne wohl aufs neue beginnen. Darum ließ sie von dem Scharfrichter, dessen geheimes Wissen ihr solche Sorge machte, und statt seiner wurde ein Chirurgus beigeschafft, dessen Kunst noch keinem Wunden aufgeholfen hatte. Der brachte andere Pflaster und Heilmittel, und als er wieder auf seinen Klepper stieg, sprach er mit rückgewandtem Kopf: »Seid frohen Mutes, edle Frau! Euer Ehebett soll nicht verwaiset werden! Und morgen bin ich wieder da!«
    Dann ritt er fort; das schöne Weib aber blieb am Torpfosten stehen und sah noch lange ihn ins Land hinausreiten. Ihr blondes Goldhaar zog sie langsam durch die Finger, und ihre weißen Zähne zerbissen einen Strohhalm, den sie aufgegriffen hatte. »Die Ratten!« brach es plötzlich von ihren Lippen, und sie fühlte, wie jählings ihr das Blut zum Hals hinaufstieg. Aber sie wurde es nicht los; es kam ihr immer wieder: »Die Ratten!«

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