Werke
nichts zu sehen, nichts rührte sich, aber als ich an die Haustür ging, fand ich sie unverschlossen ; bei dem Oberlichte, das darüber war, sah ich die Glocke mit einem Tuch bedeckt, und an der einen Seite hing die Kette los herunter.
Noch immer war Totenstille; auch das Kind schien zu schlafen. Ich faßte die Ladentür; sie war verschlossen; aber als ich mich dann wandte – die Tür der Wohnstube war nur angelehnt, und ich öffnete sie noch etwas weiter, so daß ich Annas Lager übersehen konnte. Die Nachtlampe knisterte nur noch, aber es drang schon Morgenhelle herein; das Bett war leer, die Decke hing halb herausgerissen über die Kante; aus der Kammer nebenan hörte ich das Riekchen schnarchen.
Und im selben Augenblick, Herr Nachbar, wußte ich alles, alles! Wie ein Krach war es durch meine alten Knochen hingefahren; barhäuptig, wie ich war, den Revolver in der Hand, lief ich aus dem Hause, aus einer Straße in die andre; mir war, als ob ich fortgetrieben würde, und endlich, da lag die Brücke und das Flet vor mir, wo einst mein armer Rick sein bißchen Leben eingebüßt hatte.
Das trübe Wasser zog langsam nach Osten unter der Brücke durch, und der erste Dunst des Morgenrots schillerte wie Blut darauf; die Rückseiten der hohen Speicher standen rechts und links in halbem Schatten ; es war ein eiskalter Frühmorgen; nur ein paar Brotträger sah ich an mir vorbeipassieren.
Aber dort auf der Brücke stand schon eine Vierländerin, ein blutjunges Ding; sie hatte bei einem ihrer ersten Gänge in die Stadt wohl nichts versäumen wollen. Ich ging näher, ohne daß sie mich bemerkte; denn sie streckte ihr Köpfchen mit dem runden Strohhut weit über das Geländer und sah nur immer in das Wasser; am Arm hing ihr ein Korb, wie ihn solche Mädchen tragen, der von Maililien ganz gefüllt war. ›Was macht das Kind?‹ frug ich mich eben; da langte sie zurück in ihren Korb und warf einen der Sträuße in das Wasser. Betroffen war ich stehngeblieben. ›Hier ist es!‹ sprach etwas in mir; und ich sah noch, wie die kleine Hand ein zweites und ein drittes Mal in den Korb faßte, und jedesmal fiel eine Handvoll Frühlingsblumen in die Tiefe. Ich fuhr mir durch das Haar und steckte den Revolver, den ich gedankenlos noch in der Hand trug, in die Tasche; als ich dann aber zu ihr trat, da sah ich, daß zu den Blumen auch dicke Tränen aus den Kinderaugen fielen. »Erschrick nicht!« sagte ich; »aber wem streust du da denn Blumen?«
Als sie mich so plötzlich sah, hub sie dennoch laut zu schreien an: »Hülfe! Hülfe! Oh, die schöne blasse Frau; sie nickkoppte mir noch so traurig zu!«
»Was sagst du?« rief ich, »sprich, Kind! Liegt sie da unten?«
Das Mädchen nickte heftig, und die Tränen stürzten ihr reichlicher aus den Augen.
Ich lugte von der Brücke nach Osten aus, wohin das Wasser zog. Da, am Backbord eines Ewers, der hinter einem Speicher lag, sah ich etwas schimmern ; der erste Morgenstrahl hob es eben aus dem Dunkel, aber das meiste war unter dem Wasser.«
Der Kapitän hielt inne und trank den Rest aus seinem Glase, indem er meine Hand faßte. »Wir wollen es kurz machen, Nachbar«, sagte er, »sie war es, ihr Nachtkleid hatte sich dort verfangen und den Körper aufgehalten, damit er bald zur Ruhe komme. Es waren jetzt auch Leute herzugelaufen; wir haben sie in ein Haus getragen, einen Doktor geholt und alle Versuche angestellt, aber die junge Seele war zum armen Rick gegangen, und ich will hoffen, daß ihnen beiden Gott verziehen hat.«
Er schwieg eine Weile; dann begann er wieder: »Als ich über die Brücke zurückging, stand die Kleine noch immer dort; nur daß sie aus ihrem runden Gesichtlein jetzt nach der Seite auf das Flet sah, wo wir vorhin unser liebes Kind herausgehoben hatten, wo aber jetzt nur noch der träge Zug des Wassers floß. Sie ließ sich ruhig bei der Hand fassen, als ich ihr sagte: »Komm mit mir; ich will dir alle deine Blumen abkaufen, die sollen mit der toten Frau in ihren Sarg!«
So gingen wir, und als wir in unser Haus kamen, wo alles noch zu schlafen schien, nahm ich sie mit in meine Stube und gab ihr zu essen und zu trinken; eine Rauchwurst und ein Stückchen Brot waren noch im Schrank und auch ein Schlückchen süßen Weines, denn mir war, ich müsse zuerst das verklommene Kind erquicken. Dann stieg ich hinab und ging in die Wohnstube, wo alles noch lag, wie ich es vorher verlassen hatte; aber durch die offene Kammertür sah ich das Riekchen jetzt in ihrem Bette sitzen,
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